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Ein Insel-Abenteuer im Schatten der Großstadt

Touristen dürfen auf Hanskalbsand vor Wedel sogar zelten. Doch hinzukommen – das ist nicht immer leicht.

Neuenschleuse.  Ob wir damit wirklich rüberpaddeln wollen? Peter Kottlorz schaut uns mit skeptischem Blick an: Zwei Reporter, schon über 50, die nun hier am Strand von Neuenschleuse mühsam ein kleines Schlauchboot aufblasen. Gut, vielleicht kann es darin etwas eng werden, dann noch mit dem schweren Fotorucksack. Und die weißen Schaumkronen zwischen Insel und Festland sehen auch eher unfreundlich aus. Der Wind hat etwas aufgefrischt und weht gegen die Strömungsrichtung, was auf der Unterelbe schon zu recht kabbeligem Wasser führt. Aber es hilft nicht. Wenn man nach Hanskalbsand will, muss man mit eigenem Boot hin.

Wer dieses Stück Paradies aus Pappeln, Weiden und Sandstränden mitten im Strom entdecken will, wer dort sein kleines Huckleberry-Finn-Abenteuer zwischen Blankenese und dem Alten Land erleben möchte, muss diesen Weg übers Wasser nehmen. „Aber achtet auf die Strömung, die hat da jetzt einen ganz schönen Zug“, sagt Kottlorz noch. Der schlanke Rahlstedter hat sein weißes Haar zu einem Zopf zusammengebunden. In hochgekrempelten Hosen zieht er sein Kajak weiter ins Wasser, mit behänder Bewegung schlüpft er dann in die Einstiegsluke und treibt das Boot wenig später mit kräftigen Paddelschlägen auf den Fluss. Seine 83 Jahre sieht man ihm dabei nicht an. Vielleicht, weil er so oft hier auf der Elbe unterwegs ist, im Sommer auf Hanskalbsand auch zeltet. Seit Jahrzehnten schon.
40 Jahre lang, so erzählt er, segelte er hier und auf der Nordsee. Die Familie ankerte vor Hanskalbsand oder landete mit dem Jollenkreuzer einfach auf dem Strand. Später stieg er dann auf Kajak um. „Im Sommer sind meine Kinder dort auf den Stränden quasi aufgewachsen“, sagt Kottlorz, der an diesem Tag seiner 16-jährigen Nichte die Insel zeigen will.

Strenger Naturschutz

Der weißhaarige Paddler hat noch erlebt, wie es dort drei Inseln gab. Auch Schweinsand und Neßsand waren lange Naherholungsziele für Hamburger Wassersportler. Man zündete ein Lagerfeuer am Strand an, rückte unter einer Zeltplane zusammen, wenn es anfing zu regnen. Später dann wurde bei den Elbvertiefungen Sand aufgeschüttet, die Sandbänke wurden erst Inseln, dann eine einzige, die mit einer Länge von etwa 3,5 Kilometern heute quasi die Funktion eines Leitwerks für das Fahrwasser hat. Neßsand und Schweinesand gehören zu Hamburg und stehen unter strengem Naturschutz, an einzelnen Abschnitten darf man nur noch den Strand betreten. Die Inselmitte entdecken oder gar campieren – das ist streng verboten.

Hanskalbsand ist indes schon Niedersachsen, durch einen schmalen Streifen Neuland mit Neßsand verbunden. Und noch darf dort gezeltet werden, oder es wird zumindest geduldet. So wie früher: Ein offenes Stück Insel, das so nah an Hamburg und doch so abgeschieden ist. Weil man eben so wie Kottlorz ein Boot haben muss.

Mit ganzer Kraft

Seine Warnung war schon richtig. Der Flutstrom schiebt uns bald mächtig zur Seite und wir müssen mit ganzer Kraft paddeln, um dann mit einem gehörigen Bogen doch noch auf dem Inselstrand zu landen. Ein Motorboot dröhnt in die Stille hinein, vor der Insel ankern zwei Yachten. Weiter Richtung Stade sieht man die großen Containerfrachter vorbeiziehen. Sie fahren aber nicht hier in dem breiten Nebenfahrwasser, sondern auf der Nordseite der Insel.

Zu Fuß ist es schwer, dorthin zu gelangen, so dicht ist die Insel bewachsen, Sogar einen kleinen, aber schon ziemlich zugewachsenen See entdecken wir. Und hin und wieder provisorische Zeltplätze: Planen, die zwischen Bäumen gespannt sind, oft eine Feuerstelle daneben. Irgendwo bei den größeren Bäumen soll ein Künstler aus Buxtehude sogar ein Mini-Baumhaus haben, hat uns Kottlorz erzählt. Wir finden es aber nicht, zu dicht wachsen hier Bäume, Schilf und Büsche zusammen. Heute ist auch kein anderer Inselbesucher zu sehen. An Sommerwochenenden ist das anders. Und dann nervt manchmal der Krach von kleinen Motorbooten, die in dem Nebenarm der Elbe hin und her brettern.

Seeadler beobachten

Ruhiger ist es hier auf der Nordseite – gegenüber von Wedel. Wer gleich mit dem Boot an diese Stelle fahren will, muss aber noch vorsichtiger sein: Die Strömung läuft hier noch härter, und bei höheren Wasserständen ist ein vorgelagerter Steinwall nicht leicht zu erkennen. Dafür hat man einen einsamen Strand direkt an einer der meist befahrenen Wasserstraßen der Welt. Und mit etwas Glück kann man hier sogar einen Seeadler beobachten. Der streng geschützte Raubvogel lebt merkwürdigerweise auf dem Teil der Insel, der von Menschen noch besucht werden kann. Das stört ihn offensichtlich weniger als die Naturschutzbehörden.

Sturmböen und Hagel

Doch so sehr wir die Baumkronen absuchen, zu sehen ist er diesmal nicht. Dafür aber ein ziemlich dunkler Streifen am Himmel. Zieht da ein Gewitter auf? Jetzt kann die Insel zur Falle werden. Bei Sturmböen und Hagel wieder zurück zum Festland zu gelangen – das ist kein Spaß mehr. Schnell packen wir die Sachen. Ein letztes Foto noch. Dann schaukeln wir schon wieder in den Wellen, während die Sonne bedrohlich in den Wolkenbändern verschwindet. Nach schweigsamen, gut 40 anstrengenden Minuten ist der kleine Strand am Yachthafen Neuenschleuse wieder erreicht. Kurz bevor der Regen einsetzt. Ein Insel-Abenteuer ist geschafft. Für einen Nachmittag, ein paar Kilometer nur von der Haustür entfernt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Per Anhalter von Hamburg nach Münster – wie vor 25 Jahren

Reisen per Anhalter? Gibt es das noch, in Zeiten von Billigfliegern und Mitfahrzentralen? Das hat sich unser Autor auch gefragt. Und hat sich noch einmal an die Straße gestellt – nach 25 Jahren Pause.


In den 80er-Jahren ist Axel Tiedemann regelmäßig getrampt – zwischen Münster, seinem Studienort, und Hamburgs Süden. Von der Raststätte Stillhorn soll es auch dieses Mal losgehen
In den 80er-Jahren ist Axel Tiedemann regelmäßig getrampt – zwischen Münster, seinem Studienort, und Hamburgs Süden. Von der Raststätte Stillhorn soll es auch dieses Mal losgehen
 

Hamburg. Wie diese Idee entstanden ist? Tja, gute Frage. Wir saßen zusammen, ein paar Freunde und ich, es ging um Billigflieger, Mitfahrzentralen und die neuen billigen Fernbuslinien. Irgendwann erinnerte jemand aus der Runde ans Trampen. Mensch stimmt, damit ist man früher völlig umsonst vorangekommen. So wie früher, in den 80er-Jahren. Zur Schule trampte mancher von uns und auch noch viel weiter: Griechenland und zurück, ausgesetzt nachts am Kamener Kreuz, in einem Rutsch von München nach Hamburg – das sind die alten Geschichten. Und heute? Gibt's das überhaupt noch? Tramper, so scheint es, sind jetzt selbst im Sommer kaum noch unterwegs.

Eine Recherche im Internet bringt aber erste positive Anzeichen, dass es noch nicht ganz vorbei ist mit dieser besonderen Art des Reisens. Einige Seiten wie etwa www.anhalterfreunde.de bieten viele Tipps und Datenbanken mit günstigen Startplätzen. Viel verändert hat sich da offensichtlich nicht. Noch immer sind in Hamburg der Horner Kreisel (nach Berlin) und die Raststätte Stillhorn (nach Süden) beste Startrampen für einen guten "Lift". Ja, genau. So hieß das damals.

Sollte man es also wirklich wagen? Als Student okay, aber jetzt? Gut 25 Jahre später? In einem Alter, in dem andere bereits Bundespräsident waren? Wer nimmt einem das ab mit dem Trampen? Erinnert man nicht eher an einen entflohenen Häftling? Hört man doch immer mal wieder im Radio, wenn so etwas passiert: "Bitte nehmen Sie dort keine Anhalter mit!" Und was soll ich anziehen? Krawatte und Sakko geht jawohl kaum, wäre irgendwie albern; unrasiert und kaputte Jeans geht auch nicht. Freizeitlook? Okay. Und vielleicht nehme ich den großen Wander-Rucksack mit.

Mit der S-Bahn und dem Bus geht's dann nach Kirchdorf Süd in Wilhelmsburg. Endhaltestelle, ein schmaler Weg durchs Gebüsch und schon ist die Autobahnwelt erreicht. Tankstelle und Rasthof liegen etwas auseinander, hier muss man sich für eine Rampe entscheiden. Ich nehme den Rasthof, da gibt's vor der eigentlichen Beschleunigungsspur noch einen Schotterstreifen, wo Autofahrer gut anhalten können. Wenn sie denn wollen.

Mann, wann hab' ich das zuletzt gemacht?

Zögerlich strecke ich den Daumen raus, das internationale, uralte Zeichen zum "Autostopp", wie es in anderen Länder heißt. Der Daumen symbolisiert den Pfeil für die Richtung, in die man möchte. Ein bisschen peinlich ist das, vielleicht sollte ich die Lesebrille aufsetzen, verdeckt die Tränensäcke. Mann, wann hab' ich das zuletzt gemacht? Vielfach in den 80er-Jahren, zwischen Münster, meinem Studienort, und Hamburgs Süden. Wenn ich kein Geld mehr für Sprit hatte, um den alten Daimler zu betanken (für Kenner: Strich 8, Baujahr 73, geriffelte Rückleuchten, ahorngelb). Einmal habe ich dabei nacheinander vier andere Tramper getroffen, wir haben unsere letzten Markstücke und Groschen zusammengepackt, Benzin gekauft und sind dann doch selbst gefahren. Eine frühe Form der eher spontanen Mitfahrzentrale.

Münster soll bei diesem nostalgischen Selbstversuch auch das Ziel sein.

Ein großer Lkw setzt sich in Bewegung: Essener Kennzeichen, nur ein Fahrer, eigentlich ideal: Doch er zuckt mit freundlichem Lächeln mit den Schultern. Vielen Truckern ist es heute von ihren Firmen verboten, Anhalter mitzunehmen. Wird in diesem Fall wohl auch so sein. Wohnmobile mit älteren Ehepaaren rollen vorbei – demonstratives Weggucken. Egal, sollen die sich doch allein anschweigen. Ein Passat-Kombi mit Kindern und viel Gepäck folgt, ist schon klar, dort ist kein Platz: Aber wenigstens lächeln Mann und Frau, und die Kinder winken. Nett. Es folgt: Ein großer Audi, Mann mit Anzug. Früher häufig ein Treffer, allein reisende Geschäftsleute, die auf weiten Strecken Unterhaltung suchten, da ging eigentlich immer was. Oft eine Reise mit guten Gesprächen, die für beide wie im Flug verging.

Doch nicht dieses Mal. 20 Minuten, 25 Minuten, 30 Minuten, 40 Minuten. Es gab früher Tage, da dauerte es viel länger, dann auch wieder schneller, einmal auch nur zwei Minuten – und ich hatte einen einzigen Lift bis nach Griechenland. Mit einem Autohändler aus dem Libanon, der einen Mercedes in die Heimat überführte. Irres Glück – mit dem kleinen Schönheitsfehler, dass wir zwei Tage bei Belgrad im Schneetreiben festsaßen und zuletzt vor Kälte bibbernd zu zweit in meinen Schlafsack gekrochen sind.

Was passiert, weiß man beim Trampen eben nicht. Das ist der Reiz. Doch so richtig reizvoll geht es dieses Mal nicht voran. Eine Stunde Stillhorn, da gibt's Sachen, die sind spannender. Mal sehen, wie lange ich aushalte.

Schlafen? Vielleicht zwei Stunden morgen Mittag, sagt Karol

Doch dann stoppt Karol, wie er sich später vorstellt. Schlaksig, 27 Jahre alt und einer der "verrückten" polnischen Transporter-Fahrer, wie er sich selbst bezeichnet. "Crazy", sagt Karol. Er räumt die 2-Liter-Colaflaschen und die anderen Energydrinks vom Beifahrersitz, um mir Platz zu machen. Ja, er nehme gerne Anhalter mit, erzählt er. Ab und an und gerade jetzt im Spätsommer gebe es immer mal wieder "Autostopper", meist jüngere Leute. Das ist für ihn ein bisschen Abwechslung, nette Unterhaltung.

Kreuz und quer fährt Karol mit seinem Kleintransporter durch Europa. 56 solcher Fahrzeuge besitzt seine polnische Firma, 100 sollen es 2015 sein. "Big Business", sagt Karol. Nach Hamburg hat er Parfüm gebracht, das nächste Ziel ist jetzt Venlo. Unterwegs klingelt das Telefon, irgendwo im Ruhrgebiet muss er noch eine weitere Ladung aufnehmen, morgen Vormittag soll er in London sein. Schlafen? "Vielleicht zwei Stunden morgen Mittag", sagt Karol und deutet auf seine Energydrinks. "Kaffee mag ich nicht", sagt er.

Vier solcher Transporter ersetzen einen großen Truck, erklärt er. Doch anders als bei großen Lkw braucht man für die Transporter keine Lenkzeitbegrenzungen, keine Pausen, kein Tempolimit. Das ist das Geschäft, ein Express-Service, sagt Karol. Im CB-Funk hört er Kollegen, auf Polnisch kommen Warnungen vor Polizeikontrollen. Ganze Flotten solcher Transporter aus Polen oder auch Ungarn sind in Westeuropa unterwegs, erzählt Karol. Vier Wochen lang fährt er, schläft in der Kabine auf dem Dach, kocht sein Essen auf dem kleinen Gaskocher. Dann hat er eine Woche frei. 2000 Euro gibt es dafür – wenn er mal 2000 Kilometer in einem Stück schafft, sogar mehr. Gutes Geld in Polen, wo seine junge, schwangere Frau auf ihn wartet. Vor zwei Wochen haben sie erst geheiratet, am 26. September sieht er sie wieder – so lange ist er wie ein einsamer Seemann auf dem Autobahnmeer unterwegs.

"Crazy sind wir", sagt er wieder und lacht und schenkt mir eine Cola-Flasche. Karol fährt, telefoniert, tippt ins Navi, und wir erzählen. Je mehr ich erzähle und frage, desto weniger müde wird er, denke ich. Und ist das Erzählen nicht auch meine Leistung, mein Teil der Abmachung für diese Reise? Eine Art interaktives Unterhaltungsprogramm, das kein Computer bieten kann. Und es bereichert, macht das besondere Gefühl des Trampens aus: Die Welt von Karol kannte ich nicht. Jetzt kennt Karol sogar meine.

Zurück wollte ich eigentlich die Bahn nehmen

Etwas mehr als zwei Stunden später haben wir die Raststätte Münsterland erreicht. Zweieinhalb Stunden Fahrtzeit, 60 Minuten Warten – gar nicht schlecht, die Bilanz. Zurück wollte ich eigentlich die Bahn nehmen, die etwa zwei Stunden braucht. Oder soll ich es auch zurück versuchen, mich noch einmal einlassen auf dieses ungewisse Spiel, auf das Reise-Roulette, das Trampen heißt?

Die Raststätte Münsterland Ost ist ideal, weil hier Raststätten-Besucher und Tankstellennutzer auf einer Spur anrollen, an der man auch noch gut halten kann. Direkt auf der Autobahn zu trampen ist zwar verboten, doch nicht an Raststätten, die haben dort Hausrecht und untersagen es in der Regel nicht. Die Bedingungen sind damit zwar nicht so perfekt wie in holländischen Uni-Städten, wo es mit den Schildern "Liftershalte" sogar eigene Tramper-Haltestellen gibt. Aber Raststätten wie Münsterland kommen dem Tramper-Ideal ziemlich nahe.

Wie oft habe ich hier schon gestanden? Nichts, so scheint es, hat sich geändert. Und peinlich ist es auch nicht mehr.

Keine zehn Minuten später hält ein schwarzer Ford mit Hamburger Kennzeichen. 20 Kilometer weiter sind wir Frank und Axel. Frank ist Mitte 50, Betriebsrat eines großen Bildungsträgers und wohnt in Altona. Oft muss er zu Terminen ins Ruhrgebiet, meist sind das stundenlange Fahrten, erzählt er. Wir tauschen Tramper-Erinnerungen aus, diskutieren über die Hamburger Volksinitiative zum Netzrückkauf, über die Folgen von Hartz IV, über vermeintliche Rentenlügen. Osnabrück, Dammer Berge – die Stationen fliegen vorbei. "Mensch, die Zeit verging wie im Flug", sagt Frank, als wir in Hamburg ankommen. Und dass er nach 20 Jahren zum ersten Mal wieder einen Tramper mitgenommen habe, so wie früher. Spontan. Einfach so, weil ich dort stand. "Und ich dachte schon, die gibt's nicht mehr", sagt er zum Abschied.

 

 

 

Die Insel, die rundherum selig macht

Serie Meer-Sonne: Helgoland ist Deutschlands einzige Hochseeinsel - ein Urlaubsort mit Robinson-Charme und ein Fluchtpunkt zu innerer Einkehr.


Helgoland. Eben noch war das Wasser der Elbmündung schmutziggrau. Jetzt stampfen die Kufen desInsel-Katamarans durch blaues, fast türkisfarbenes Wasser. Darüber ein wolkenzerfetzter Himmel, wie ihn Marinemaler gerne malen. Nordwest vier bis fünf Windstärken, für den "Halunder Jet" eigentlich noch kein Problem. Das sanfte Ruckeln auf der Fahrt von Hamburg hierher ist jedoch in ein deutliches Stampfen übergegangen.

Zwei, drei Passagiere eilen mit starrem Blick nach draußen aufs Deck an die Reling. "Sie lassen sich die Fahrt noch einmal durch den Kopf gehen", sagt man auf Helgoland, der roten Felseninsel, die in einer knappenStunde erreicht sein soll.

Es ist das letzte Stück der Reise, die an einigen Tagen im Jahr so spürbar macht, dass man sich mit dem Ziel Helgoland tatsächlich vom Festland verabschiedet. Hamburger Loch sagen die Insulaner zu diesem letzten Teil der Passage, die im offenen Meer liegt. Dort, wo der Wind die Wellen aufbauen kann, wo das Wasser schon ozeanblau ist und sich die Handynetze einstweilen verabschieden.

"Kein Netz", diese Meldung könnte ein Synonym sein für den Aufenthalt auf Deutschlands einziger Hochseeinsel. Auch wenn man dort dann wieder Empfang hat. Kein Netz bedeutet aber keine Verbindung, jedenfalls nicht über Land, wie es Sylt mit seinem Damm hat.

Kein Netz meint auch keine Sichtverbindung mehr dorthin, vielleicht auch keine Verbindung mehr zum sonstigen Alltag. Kein Netz zum anderenLeben eben, Helgoland ist wirklichInsel. Autofrei, staubfrei, pollenfrei, stressfrei, wie Helgolandfans sagen. Helgoland ist "inseliger", so lautet der neue Slogan von Tourismus-Chef Klaus Furtmeier. Insel stecke in dem Wort und selig, von "die Seele baumeln lassen", sagt er. Ob's stimmt?

Gute dreieinhalb Stunden nachdem der "Halunder Jet" in Hamburg abgelegt hat, ragt vor dem Schnell-Katamaran Helgoland auf. 60 Meter in seiner größten Höhe, ein schroffer Felsen, ein Gebirge mitten auf See:

Irgendwo ins grüne Meer hat

Ein Gott mit leichtem Pinsel,

Lächelnd, wie von ungefähr,

Einen Fleck getupft: die Insel.

Das hat der von Helgoland stammende Schriftsteller James Krüss geschrieben. Die romantische Erklärung sozusagen, der man jetzt von Bord sofort zustimmen würde. Die geologische Variante ist aber auch nicht unspannend: Ein aufquellender Salzstock hat dort Buntsandstein förmlich herausgehoben durch die eiszeitlichen Sandschichten, die sonst das Bild des Nordens bestimmen. In Frühzeiten vor mehr als 6000 Jahren war der markante Block noch Teil des Festlandes, ein mystisches, "heiliges Land", aus dem sich der Name Helgoland entwickelte, wie Historiker vermuten.

Nachdem der Katamaran im Südhafen festgemacht hat, eilt die Karawane der Besucher Richtung Ortschaft. Vorbei an den ersten Schnapsläden, die einst den Ruf vom Fuselfelsen brachten. Doch die Zeit des schnellen, zollfreien Einkaufs als Hauptgrund für die Anreise ist lange vorüber: Nicht mehr 800 000 Tagesgäste pro Jahr wie in den 1970er-Jahren zählt die Gemeindeverwaltung, sondern knapp 300 000. Dafür steigt aber die Zahl derjenigen enorm an, die mehr als nur die drei Stunden bleiben, die eine Hin- und Rückfahrt am Tag erlaubt.

 

 

Sichtbar ist der Wandel vom Fuselfelsen zum Urlaubsort mit Robinson-Charme schon an den Hummerbuden, jenen bunten, skandinavisch anmutenden Spitzdachhäuschen, wo früher die Fischer ihre Ausrüstung unterstellten. Heute gibt es hier Seafood-Restaurants, Galerien, ein Museum. Aber auch noch Fischer, die den Helgoländer Hummer fangen. Sie gedeihen nur hier in dem klaren Wasser auf dem Felsenuntergrund vor Helgoland. Klaus Köhn ist einerder letzten dieser Fischer. In seiner Hummerbude steht Angelgerät neben Schraubenziehern, Zangen, Ölzeug, Netzen und einem großen Kochtopf. Köhn verkauft in seiner Bude die Spezialität direkt an die Gäste. Heute ist die Kieler Familie Mannigel da: Mutter,Vater, die beiden Kinder, 8 und 10. Hell sommerlich gekleidet, Sonnenbrillen, leichte Sommerbräune. Eine Familie, die man nach Sylt verorten würde. "Wir kommen schon seit Jahren hierher", sagt Birte Mannigel. Man könne auf der Insel die Kinder einfach laufen lassen. Und, na ja, eben dieses Inselfeeling, sagt sie. Das sei schon etwas Besonderes.

Direkt im Anschluss an die bunten Buden erstreckt sich die Gebäudezeile mit den Hotels und dahinter dann die eigentliche Ortschaft im Unterland. Nach der Zerstörung Ende des Krieges wurden die Häuser ab 1952 wiederaufgebaut - aber ganz anders als dieursprüngliche Bebauung, die auf der lange Zeit britischen Insel viktorianisch-britisch geprägt war.

Die neue Nachkriegsarchitektur fand man in den vergangenen Jahren gelegentlich spießig. So wie den typischen Fuselfelsen-Besucher eben auch. Doch mit dem Imagewandel hin zum Hochsee-Erlebnis erscheint auch die Architektur in einem anderen Licht. Mittlerweile werden sogar Führungen angeboten. Und das mit gutem Grund: Der Architekt Otto Bartning, einer der Gründer der Bauhaus-Bewegung, plante sie. Ein Künstler entwickelte eigens das Farbsystem der Fassaden aus Vorbildern in der nahen Natur. Die Dachneigungen sind extra so gehalten, dass jeder Vorgarten dahinter noch Sonne bekommt. Und immer wieder gibt die Bebauung den Blick frei auf das endlose blaue Meer, das die Insel umgibt.

Vom Unterland gelangt man dann per Fahrstuhl oder auch auf einer langen Treppe hoch ins Oberland. Dort sitzt gelegentlich Wilfried Schmidt mit seinen Helgoland-Fotobänden. Wer wissen will, was diesen Felsen so einzigartig macht, sollte darin blättern und sie kaufen. Für den 75-Jährigen selbst ist die Insel ein Fluchtpunkt zu innerer Einkehr, wie er sagt. Schmidt war erfolgreicher Werbetexter in Düsseldorf, titelte Slogans wie "Dem Leben dieHärte nehmen" für ein neues Toilettenpapier. Dann, nach einem Besuch auf Helgoland, verkaufte er Ende der 1980er-Jahre seine Düsseldorfer Eigentumswohnung, kaufte sich ein kleines Apartment auf der Insel und lebt seither vom Buchverkauf. Ruhe, Wind, Meer - das reicht ihm. "Und wenn man hier mit jemandem reden will, dann wartet man, bis er vorbeikommt."

Von den Häusern im Oberland führt der Weg weiter zu den Klippen. Ganz oben, auf dem höchsten Punkt, sollte jeder Besucher sich einmal drehen, ringsherum: grüne Hügel, roter Felsen. Der Blick fällt auf die vorgelagerte Badedüne. Und überall wieder dieses Blau. Vom Meer, vom Himmel. Bis zum Ende, rundherum. Kein anderes Land in Sicht, keine Verbindung, kein Netz zum Alltag. Helgoland ist inseliger. Ja, es stimmt.