Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Mobil:   0176 6560 2978

E.Mail:   info@axel-tiedemann.de

Über Häfen und Schiffe
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

HAMBURGER SCHIFFFAHRT

 

Die spektakuläre Bergung der "Indian Ocean"

 

Axel Tiedemann

 

 

 

Die stärkste Schlepperflotte, die je auf der Elbe im Einsatz war, zieht die „Indian Ocean“ erfolgreich aus dem Schlick. 

 Grünendeich.  Detlef Jühlke ist ein begehrter Mann in dieser Nacht. Kurz nach zwei Uhr morgens an diesem stürmischen Dienstag steht der pensionierte Kapitän auf dem Lühe-Anleger an der Elbe. Man sieht hier einige Fotografen, Kameramänner und noch vielleicht gut 50 Zuschauer, die sich an das Absperrgitter lehnen, das dort auf einem Steg weit in die Elbe zum Anlegerponton hinausragt. Wie Kapitän Jühlke sind sie nachts aufgestanden, um eines der aufwendigsten Bergungsmanöver zu erleben, das je auf der Elbe zu sehen war.

 

Von seinen zahlreichen Scheinwerfern an Deck wird der Container-Frachter „CSCL Indian Ocean“ förmlich inszeniert. Ein gewaltiger Kasten auf dem etliche dieser Stahlboxen gestapelt sind. Der grüne Riese ist eines der größten Schiffe seiner Art, 400 Meter lang – aber bewegungslos.

 

In der Nacht zu Donnerstag war er nach einem Ruderausfall mit Hilfe seiner Bugstrahlruder am Rand des Fahrwassers auf Schlick gesetzt worden. Mehrere Versuche, den etwa 150.000 Tonnen schweren Koloss dort wegzuziehen, scheiterten.

 In der Nacht zu Dienstag nun hat sich die stärkste Schlepperflotte versammelt, die bisher auf der Elbe zum Einsatz gekommen ist. Zwölf Schlepper hat das federführende Havarie-Kommando in Cuxhaven für diesen ganz besonderen Einsatz geordert, darunter die beiden niederländischen Hochseeschlepper „Fairmount Expedition“ und „Union Manta“. Im Gewirr der vielen Lichter auf der Elbe sind sie gut an den markanten hohen Aufbauten am Heck zu erkennen. 15.000 PS hat ein solches Kraftpaket und schafft eine Zugkraft von 200 Tonnen – fast dreimal so viel wie ein starker Hafenschlepper.

 

Es ist ein „One-Shot-Unternehmen“, das die Bergungscrew vorhat: Bei Neumond wird die durch die Anziehungskraft von Mond und Sonne erzeugte Flut höher auflaufen als normal, hinzu kommt starker Westwind, der zusätzlich Wasser in die Elbe drückt. 1,20 Meter höher als das mittlere Hochwasser soll die Flut bei der Elbinsel Lühesand ansteigen – jetzt oder nie.

 

Andächtig schauen die Menschen auf die Lichter. Was dort draußen jetzt geplant ist, wer wo wie ziehen wird – Kapitän Jühlke weiß es. Er hat sein altes Handfunkgerät mitgebracht, den Kanal 72 eingeschaltet und ist bestens informiert. Immer wieder wird er von Umstehenden daher nach dem aktuellen Stand gefragt.

 Die Kommandos, die man aus dem kleinen Gerät scheppernd hört, sind knapp – die Leute da draußen wissen offensichtlich, was zu tun ist. Baggerschiffe hatten zuvor eine Art Spur zurück ins Fahrwasser gespült, berechnet nach Vorgaben von Ingenieuren des Germanischen Lloyd (GL), der so etwas wie ein Schiffs-TÜV ist. Auch jetzt sind Spezialisten des GL an Bord, checken den Rumpf auf mögliche Risse. Am Neumondhimmel ist das Brummen eines Flugzeuges zu hören, mit Spezialgeräten wird auch aus der Luft geprüft, ob Flüssigkeiten austreten.

 

Dann plötzlich ein Raunen auf dem Ponton, auf dem Wasser wird es dunkler

 

Kurz nach 2 Uhr dann der erste Zug der Schlepperflotte. Wenige Minuten später ist das Heck des Frachters schon frei, 15 Minuten später haben die Schlepper ihn komplett aus dem Würgegriff des zähen Elbschlicks befreit.

 

Immer wieder sind jetzt kurze Kommandos aus Jühlkes Funkgerät zu hören. Still liegt die „Indian Ocean“ schon wieder, als sei sie erneut aufgelaufen. Doch das täuscht, weiß Kapitän Jühlke. Im Dunklen positionieren sich die Schlepper neu, fünf sollen den Frachter nach Hamburg ziehen.

 

„Ruderanlage funktioniert wieder“, heißt es dann. Ein elektronisches Bauteil hatte zu dem Ausfall geführt, es konnte noch vor Ort repariert werden. Doch aus eigener Kraft darf das Schiff nicht fahren, könnte es auch nicht: Der gesamte Treibstoff war zuvor abgepumpt worden, um es leichter zu machen. Zudem gibt es nach der Grundberührung keine Einlaufgenehmigung mehr, das Schiff muss erst genau untersucht werden.

 

Die Zeit drängt nun für die Reederei China Shipping. Bis kurz nach 6 Uhr muss der Gigant die Einfahrt zum Eurogate-Terminal erreicht haben. Dort ist eine Drehung notwendig – was nur klappt, wenn die Tide noch nicht zu lange wieder gekippt ist.

 

Die Minuten verstreichen, aus dem Funkgerät hört man jetzt die beiden Elb­lotsen an Bord, die den Schleppern Anweisungen geben. Auf dem Steg machen einige Guckpause und wärmen sich im kleinen Kiosk „Wellenreiter“ auf. Sylke Oehr hat ihren Laden aus gegebenem Anlass um zwei Uhr morgens geöffnet. Es gibt sogar ein „Havarie-Angebot“: einen Pott Kaffee und ein Wiener Würstchen für drei Euro. Eng ist es hier, schon seit einigen Tagen brummt das Geschäft, am Wochenende waren rund um die Lühe-Mündung sämtliche Zufahrtsstraßen zugeparkt, weil so viele das gestrandete Mega-Schiff sehen wollten. „So viel ist hier nur los, wenn die Blüten sprießen“, sagt Oehr und lacht fröhlich.

 

Dann plötzlich ein Raunen auf dem Ponton, die Kioskgäste drängen wieder raus. Das Hochwasser schwappt gefährlich weit auf die Parkplätze, als es unvermittelt deutlich dunkler wird auf dem Wasser: Die Deckbeleuchtung auf der „Indian Ocean“ ist ausgeschaltet, nur die Positionslichter sind zu sehen. „Jetzt wird es losgehen“, weiß Kapitän Jühlke. Der weißhaarige Nautiker hat seine Mütze, Marke „Elbsegler“, tief ins Gesicht gezogen und lauscht wieder in seine Handfunke. Wäre er jetzt selbst lieber an Bord, wie zuletzt vor drei Jahren, als er sein letztes Kommando auf einem Containerschiff hatte? „Nö“, winkt Jühlke ab. Nicht die Einfahrt in den Hafen würden ihn grauen, aber „die ewig langen Berichte, die man hinterher als Kapitän schreiben muss“.

 

In der Tat dürfte der chinesische Kapitän einiges zu erklären haben. Der Ruderausfall fand schließlich bis ins politische Berlin Beachtung. Denn Umweltverbände, die gegen die geplante Elbvertiefung wettern, sehen in der Havarie einen Beweis, dass die Elbe zu klein für solche Schiffe sei, eine Vertiefung würde noch mehr dieser Riesen dorthin bringen, warnen sie.

 

Tatsächlich ist ein solcher Frachter länger als die Fahrrinne breit ist. Doch bei der Reederei sieht man eher keinen Zusammenhang zwischen Elbfahrwasser und Havarie. „So ein Schaden kann überall auftreten“, heißt es.

 

Gegen 4.30 Uhr verschwinden am Lühe-Anleger die Lichter des Schlepperkonvois aus dem Blickfeld. Zeit, um pünktlich zum Eurogate-Terminal zu gelangen, hat die „Indian Ocean“ genug. Das Freischleppen ist gelungen. Ein Misslingen hätte auch fatale Folgen gehabt: Man hätte womöglich einen großen Schwimmkran nach Hamburg beordern müssen, um das Schiff auf dem Fluss weitgehend zu entladen. Was Tage gedauert hätte und dem Hamburger Hafen wohl einen schweren Imageschaden zugefügt hätte. So aber konnte das Havarie-Kommando zeigen, dass man mit solchen Ausnahmesituationen auf der Elbe zurecht kommt, lässt sich später Wirtschaftssenator Frank Horch erleichtert zitieren.

 

Auch Kapitän Jühlke erwartet nun nichts Besonderes mehr. Er packt sein Funkgerät ein, setzt sich in seinen VW und fährt nach Hause.

 

 

 

 

 

 

Hafen der Versuchung: Schokoladen-Boom in Hamburg

Axel Tiedemann

 

Rund 125 000 Tonnen Rohkakao kommen hier mittlerweile pro Jahr an.

 

Ein würzigherber Duft steigt in die Nase, als Thomas Cotterell eine der großen Schiebetüren aufzieht. Ein Geruch, irgendwo zwischen Holz und Zartbitter liegt in der zugigen Luft des Hafenschuppens. Riesige Stapel brauner Jutesäcke lagern dort auf Paletten: Kakaobohnen aus Westafrika, Mittelamerika und auch Asien. Sie stammen aus der Frucht des Theobroma Cacao - "Speise der Götter" - lautet der wissenschaftliche Name für den Kakaobaum, der nur im Schatten großer Dschungelbäume am Äquator gedeihen kann. Schon die Mayas haben den Genuss dieser Bohnen geschätzt. Ihre Inhaltstoffe sollen sogar glücklich machen.

Bis zur Decke sind die Säcke gestapelt, im Hof seines Lagerbetriebs am Reiherstieg hat Cotterell zwei zusätzliche provisorische Hallen aufstellen lassen. Folge eines Kakao-Booms im Hafen. "Seit drei Jahren haben wir enorme Steigerungsraten", sagt der 33 Jahre alte Chef des Hamburger Traditionsunternehmens.

Eine Entwicklung, die von dem Verein Hafen Hamburg Marketing bestätigt wird. Rund 125 000 Tonnen Rohkakao, der Grundstoff für Schokolade, kommen mittlerweile in Hamburg pro Jahr an. Einige in Spezialschiffen, die meisten jedoch in Containern. Ein Teil als loses Schüttgut, wertvollere Sorten in Säcken. Seit 2004 ist dieser Import in Hamburg nach Zahlen des Marketingvereins plötzlich um jährlich 20 Prozent angestiegen. Gut die Hälfte des deutschen Marktes wird damit beliefert. Nach Amsterdam ist Hamburg damit der größte Kakaohafen Europas geworden.

Doch was steckt hinter diesem Zuwachs? Eine Erklärung dazu hat Andreas Christiansen, Kakaohändler mit Büro am Mittelweg und Vorsitzender des "Vereins der am Rohkakao beteiligten Firmen". Hamburg profitiere vor allem von einem "Trendwechsel" beim Schokoladenverzehr, meint Christiansen. Ein "geschicktes Marketing" und neue Erkenntnisse hätten da in den vergangenen Jahren zu einem Image-Wandel geführt. Tatsächlich gilt Schokolade nicht mehr nur als billige Kalorienbombe, sondern hat mittlerweile eher den Ruf von edlem Geschmack und irgendwie gesundheitsfördernden Inhalten bekommen. Etwa Phenolen, die nicht nur im Rotwein, sondern jetzt auch in der Schokolade dem allzu frühen Herztod vorbeugen sollen. Prävention auf die angenehme Art eben.

"Schokolade könnte man auch in der Apotheke verkaufen", meint Christiansen optimistisch. Vielleicht übertrieben. Schließlich steckt in Schokolade meist auch viel Zucker und viel Fett. Doch tatsächlich gibt es eine Reihe von Studien wie von der Uni Zürich, die in Schokolade enthaltenen Stoffen eine günstige Wirkung auf die Durchblutung bescheinigen. Solche Meldungen bleiben nicht ohne Wirkung. "Der Konsum in Deutschland hat deutlich zugelegt und damit auch die Notwendigkeit für die Hersteller, möglichst viele Bohnen auf Vorrat zu haben", sagt Christiansen. Wobei vor allem immer mehr Edelschokoladen verkauft würden. "Selbst bei Aldi gibt es jetzt teure Sorten", so Christiansen. Und der Hamburger Hafen profitiere von diesem Trend zur Nobelschokolade eher als Amsterdam, wo mehr Bohnen für die Massenwaren angelandet würden, wie der Kakaohändler meint.

Doch nicht nur im Hafen, auch in der Hamburger City lässt sich dieser Trend zur Edelschokolade beobachten. Auf den feineren Wochenmärkten wie dem Isemarkt oder in kleinen Spezialgeschäften in Eppendorf, Winterhude oder an den Colonnaden werden immer mehr teure Schokoladen mit Kakaoanteilen von bis zu 80 Prozent verkauft. Manche fein mit Chili gewürzt, um das Aroma zu beflügeln. "Seit einigen Jahren gibt es immer mehr solcher Spezialläden", bestätigt Wiebke Andresen, die lange selbst edle Sorten auf dem Wochenmarkt in Volksdorf verkauft hat und inzwischen mit ihren Schokoladenseminaren den theoretischen Überbau für den Schokogenuss liefert. Wichtigste Voraussetzung für eine gute Schokolade sei dabei natürlich die Qualität der Kakaobohnen, meint die Schokoladenexpertin.

 

Und die ist längst nicht immer gleich, weiß Thomas Cotterell. Schon in der fünften Generation lagert sein Familienbetrieb und prüft als neutraler Gutachter für Händler und Exporteure die Qualität von Kakaobohnen.

Als Beispiel holt er kleine Probesäckchen und legt sie auf einen Holztisch. Verschifft am 24. November in Cartagena, Kolumbien, und angekommen in Hamburg mit einem Maersk-Frachter am 18. Dezember, steht darauf. "Aus Kolumbien und Ecuador kommen die besten Sorten", sagt Cotterell und schneidet zum Beweis die Bohnen mit einem Teppichmesser auf. Immer 100 Bohnen einer Probe werden so untersucht: Fahles Weiß deutet beispielsweise auf Schimmel, kleine verkümmerte Exemplare auf fehlendes Aroma.

Der Anteil solcher schlechten Bohnen bestimmt die Qualität. Diesmal hat Thomas Cotterell jedoch nur einwandfreie Ware vor sich liegen. Eine feste braune Masse im Innern der Bohne erinnert schon an Schokolade. Beim Herauspulen zerbröselt sie, kleinste Brocken schmecken etwas bitter, aber ganz nett zum Kaffee.

Und das macht wirklich glücklich? "Mich schon", sagt Cotterell und lächelt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine alte Liebe darf auch mal rosten

Axel Tiedemann

Sie heißt „Røde Orm“, hat Falten, Dellen und Ausfälle zu den ungünstigsten Zeitpunkten. Und doch kann sich unser Autor Axel Tiedemann nicht von seiner über 40 Jahre alten Yacht trennen.

Hamburg. Manchmal könnte ich ewig lange auf das Foto schauen und mich nur über ihren Anblick freuen: Wie schlank sie dort liegt, wie rund ihre Formen sind, die elfenbeinfarbene Haut, die ihren Ausdruck so wunderbar unterstreicht.

Und dann überlege ich es mir doch noch einmal.

Denn eigentlich wollte ich sie längst verstoßen, jemand anderem überlassen. Die Liebe zu ihr zehrt mich eben auf, finanziell und zeitlich. So viel Geld, damit sie warm über den Winter kommt. So viel Geld, damit ich sie im Sommer in Bewegung halten kann. Und dann die Zeit: Wie soll ich sie denn pflegen, wenn Job und Kinder so viel Zeit brauchen? In Wahrheit bleiben nur wenige Tage im Sommer, die wir gemeinsam verbringen können.

 

Dafür der ganze Aufwand?

 

Und wenn ich ihr doch einmal kurz meine Aufmerksamkeit schenken kann, dann wird sie oft auch noch zickig. Mit über 40 ist sie eben nicht mehr so frisch wie die vielen anderen – die sich in diesen Tagen in den Hamburger Messehallen präsentieren; so schick, herausgeputzt, makellos. Ohne die vielen Dellen und Falten, die ich mittlerweile bei ihr an vielen Stellen entdecke.

Und immer wieder ist etwas, immer wieder hat sie diese Ausfälle. Statt gemeinsam hinaus aufs Meer zu fahren, muss ich dann wieder ran, um sie gesund zu bekommen. Zu den blödesten Zeitpunkten macht sie so etwas, unberechenbar ist sie dabei. Kurz vor einer gefährlichen Hafeneinfahrt oder auch dann, wenn uns die Strömung auf einen Steinwall zu treiben droht. Versenken könnte ich sie in solchen Augenblicken. Sofort, an Ort und Stelle. Eine Beziehungstat, würde man später sagen.

Monatelang waren wir schon gemeinsam unterwegs gewesen, bis weit nach Frankreich. Im gefährlichen Ärmelkanal hat sie mich trotz heftiger Wellen immer in Sicherheit gewogen, hat mich in solchen Momenten beruhigt mit ihrer souveränen, leicht schwerfälligen Art.

Wochenlang waren wir gemeinsam in Paris. Herrliche, kuschelige Nächte haben wir dort und an vielen anderen Orten verbracht. Wo ich auch war – mit ihr war ich zu Hause. Und nun einfach so abgeben und Ausschau nach etwas Jüngerem halten?

Ich gebe zu, ich habe oft schon daran gedacht, aber gelungen ist es mir nicht – und spätestens, wenn ich mir wieder ihr Foto ansehe, werde ich schwach. Soll ich sie wirklich aufgeben? Soll ich mich endlich von dieser Last befreien? Hin und wieder einen Ersatz für sie engagieren, würde doch auch reichen. Nur um wieder einmal diese Lust zu spüren, die ich so oft mit ihr erlebt habe.

Aber wäre das wirklich Liebe? Könnte ich wirklich so leben ohne sie?

Ich glaube nicht. Und deshalb werde ich auch diesmal über die Hanseboot streifen, gelegentlich ans Fremdgehen denken und dann doch meiner „Røde Orm“ treu bleiben. Dieses alte Stahlschiff und ich gehören einfach zusammen. Auch wenn es mich den letzten Euro und den letzten Nerv kosten wird.

Eine solche alte Liebe lässt sich nicht einfach so lösen – auch wenn sie gelegentlich rostet.

 

 

Inspektor Hafenkante, der Anwalt der Seeleute

An Bord vieler Schiffe herrschen katastrophale Bedingungen. Unterwegs mit einen Mann, der für die Rechte der Matrosen kämpft.

 

Ulf Christiansen, 56, arbeitet seit 20 Jahren für die Internationale Transport-Arbeiter-Föderation ITF. Er inspiziert Schiffe im Hamburger Hafen. Foto: Tiedemann

Hamburg. Ein unsicheres Lächeln huscht über das Gesicht des jungen indischen Seemanns, als er den Hamburger Gewerkschafter vor dem großen Sicherheitszaun am Kai erkennt. Rasch wirft er einen Blick zurück über die Schulter, hoch zur Brücke der "Norlake". Dort dringt Qualm aus dem Schornstein, das Radar dreht sich. Das Schiff ist bereit zum Ablegen, ein Schlepper hat sich schon in Position gebracht, lässt tief und lang sein Signalhorn tönen. Hastig zieht der junge Inder sein Handy aus Tasche. "Give me your number", sagt er zum Gewerkschafter und hält das Telefon verborgen vor seiner Brust, um dann verdeckt die Zahlen darin einzutippen. Von der Brücke aus soll man nicht erkennen, dass er hier verbotenerweise Kontakt aufnimmt mit Ulf Christiansen, dem Hamburger Inspektor der Internationalen Transport-Arbeiter-Föderation ITF.


ITF - das Wort dürfte für manche Billigflaggen-Reeder klingen wie Gift oder Pest. 130 meist bei nationalen Gewerkschaften angestellte ITF-Inspektoren kümmern sich weltweit um die "Ärmsten der Armen unter den Seeleuten", wie Christiansen sagt. Filipinos, Inder, Russen oder Rumänen, die auf Seelenverkäufern unterwegs sind, mit Heuern, die weit unter dem liegen, was ITF als Mindestlohn fordert. Oft ernähren die Männer damit zu Hause ganze Sippen. Kontakt zu ITF-Leuten wie Christiansen kann sie den Job kosten, deshalb schweigen sie lieber, ertragen die acht, zehn oder auch elf Monate, für die sie auf einem Schiff angeheuert wurden.

Die Männer der "Norlake" schwiegen jedoch nicht, als sie vor gut drei Wochen vor der Elbmündung ankamen und eine E-Mail an ITF schickten. In Riga war die indische Crew auf dem 28 Jahre alten Tanker eingestiegen, wie Seeleute sagen, wenn sie eine Reise auf einem Schiff antreten. Engagiert von der in Limassol ansässigen Crewing-Agentur, arbeiteten sie nun auf einem Schiff einer ägyptischen Reederei, das unter der Billigflagge Panama fährt. Eine zusammengewürfelte Kombination aus unterschiedlich beteiligten Nationalitäten, wie es heute üblich ist in der modernen Seefahrt. Immer häufiger registrieren Reeder ihre Schiffe in Staaten wie Panama, Liberia oder den Marshallinseln. Das spart Geld, weil man Löhne drücken kann. So werden von deutschen Unternehmen etwa 3500 große Seeschiffe betrieben, aber nur 439 davon tragen am Heck die Farben Schwarz-Rot-Gold.

Die "Norlake" sollte in Hamburg Sojabohnenöl laden. Als sie an den weißen Villen von Blankenese vorbeiglitt, war Christiansen bereits informiert über den maroden Zustand des Schiffs. Eines von 12 000, die jährlich die Strandcafés und Luxuswohntürme an der Elbe passieren. Immer mal wieder ist ein Frachter wie die "Norlake" darunter, "wo die Menschenwürde mit Füßen getreten wird", wie Christiansen sagt. "Substandardschiffe" nennt er seine Problemfälle. Vor den glitzernden Glasfassaden auf an der Elbe lässt sich zwar täglich ein Schauspiel bewundern, das Hafenromantik genannt wird. Doch hinter dieser Bühne wird nicht selten etwas ganz anderes gespielt: das hässliche Stück von der internationalen Seefahrt, die man in den Werbe-Broschüren der Makler vergeblich suchen dürfte. "Die Männer der ,Norlake' hatten schlicht Angst weiterzufahren", sagt der große 56-jährige Christiansen. In den 90er-Jahren wurde der Pastorensohn mit Kapitänspatent aus Flensburg zum ITF-Mann. 17 Jahre war er da zur See gefahren, als das Angebot kam. Für ihn eine Chance, die Arbeit des Helfers, wie er es von zu Hause kannte, mit der Arbeit eines Seemanns zu verbinden. "Mir geht es da vor allem um Gerechtigkeit", sagt er. 20 Jahre lang kämpft er nur schon für die Rechte von einfachen Seeleuten, streitet sich mit Reedereien. Gerät auch schon mal in Situationen, wo es handgreiflich wird. Vor wenigen Wochen erst packte ihn der Chef einer kleinen deutschen Reederei im Streit um ausstehende Heuer am Kragen. "Man muss ruhig bleiben, hier fehlte aber nicht viel und ich hätte zurückgeschlagen", sagt Christiansen. In der Seefahrt geht es eben nicht um Romantik, sagt er: "Da geht es nur um eines: ums Geld, viel Geld."

Und auch der ägyptische Reeder der "Norlake" wollte sparen: Rost hatte in Tanks und Leitungen Löcher gefressen, Lebensmittel gammelten in der Kombüse. Aus Duschen tröpfelte nur kaltes Wasser, Toiletten waren kaputt wie die Heizung. Und auch die Heuer, der Seeleutelohn, war lange nicht gezahlt worden. Christiansen informierte wie immer in solchen Fällen Wasserschutzpolizei und die Kontrolleure der Berufsgenossenschaft Verkehr. Erfahrene Nautiker fanden schnell die Schwachstellen in der "Norlake" und ließen das Schiff in die Kette legen. Drei Wochen dauerte es, bis 32 festgestellte Mängel notdürftig repariert waren. Etliche Tausend Euro am Tag kostete den Reeder eine solche Zwangspause, Argument genug, um sich auch nicht länger mit Christiansen um die ausstehende Heuer zu streiten. Der Großteil der Mannschaft wollte dennoch nicht weiterfahren, neue Seeleute aus Indien kamen an Bord. Der junge Seemann, mit dem sich Christiansen vorne am Zaun unterhält, riskiert die Weiterfahrt, weil er das Geld braucht. Er werde sich vom nächsten Hafen aus melden, ob alles in Ordnung sei, ruft er und hastet dann zur Gangway des Schiffs.

Hinter dem schwarzen Rumpf auf dem gegenüberliegenden Terminalgelände ragen kleine bunte Hügel auf, Berge von Schrott, die dort im inneren Teil des Hafens mit scheppernden Geräuschen verladen werden. Reihen mit verbeulten Containern stehen auf dem gepflasterten Areal, wo die "Norlake" jetzt ablegt. Es riecht nach Industrie und nach verbranntem Öl.

Mit nachdenklichem Blick geht Christiansen wieder zurück zu seinem Golf Kombi. Heute macht er einen Hafentag, wie er es nennt. Die hohen roten Kräne des Eurogate-Container-Terminals sind sein nächstes Ziel. Für die Hafenarbeiter dort hat Christiansen Pudelmützen mit ITF-Symbol ins Auto gepackt. Ein Art Dankeschön für die Unterstützung und auch so etwa wie Flaggezeigen, wie Christiansen sagt. Wenn Reeder oder Kapitäne sehen, dass die Hafenarbeiter ITF-Symbole tragen, schafft das auch Respekt, weiß er. Denn es gibt im Kampf um Mindestlöhne für Seeleute auch eine Solidarität. Weigert sich ein Reeder hartnäckig, mehr als einen Hungerlohn auf einem Billigflaggenschiff zu zahlen, kann es schon einmal sein, dass die Docker ihre Pausen ausdehnen oder wie durch Zufall der Containerkran vor dem betroffenen Schiff plötzlich repariert werden muss. So wie kürzlich bei dem deutschen Containerschiff MS "Deneb", für das der deutsche Reeder den ITF-Vertrag gekündigt hatte. Für die "Deneb" bestimmte Fracht blieb einfach am Terminal stehen, die Arbeiter weigerten sich, das Schiff zu beladen - bis erneut ein ITF-Vertrag unterschrieben wurde.

Warten kostet Zeit und damit viel Geld. Ein Argument, das immer zählt.

Aber diese Unterstützung ist nicht völlig uneigennützig. So gibt es Bestrebungen mancher Reeder, dass die Schiffscrews das Laschen, das seetüchtige Festsetzen der Ladung an Bord, übernehmen sollen, um Geld zu sparen. Ein klassischer Job des Hafenarbeiters, der so durch Billiglöhne verloren zu gehen droht. Den klassischen Seemannsberuf üben kaum noch Deutsche aus. In der Mannschaftsmesse sitzen heute meistens Russen, Inder. Aber vor allem Filipinos. Rund 600 000 ausgebildete Seeleute stammen laut Schätzungen von dort, doch nur etwa 200 000 finden einen Job bei internationalen Reedereien, mit dem man eine Großfamilie ernähren kann. Genug Druckmittel also, um die Crews gefügig zu machen

Auch die Mannschaft der "Cape Harrier" kommt von den Philippinen. Der 290 Meter lange bullige Erzfrachter hat im Hansaport festgemacht. Mächtige Halden mit dunklem und rötlichem Eisenerz lagern dort, Förderbänder und schweres Gerät säumen den Kai, Eisenbahnwaggons stehen bereit - bis nach Salzgitter wird Erz per Bahn transportiert. Das warnende Fiepen eines Staplers hallt über das Gelände, übertönt das Grundrauschen der Lkws auf der nahen Köhlbrandbrücke. Asphalt und ein schmieriger Schlammfilm auf dem Boden unterscheiden sich nur wenig vom grauen Wasser der Süderelbe. Eindrücke, die oft das Einzige sind, was die Seeleute von Hamburg mitbekommen. Christiansen parkt sein Auto direkt neben dem Schiff. Der Erzfrachter mache einen ordentlichen Eindruck, sagt er nach einem ersten Blick. Die "Cape Harrier" ist zum ersten Mal in Hamburg, Grund genug für Christiansen, sich dort umsehen. An der Gangway begrüßt ein philippinischer Seeoffizier, er lässt den Inspektor passieren. In Deutschland genießen ITF-Inspektoren ein Zutrittsrecht. Oben an Deck trägt sich der ITF-Mann in eine Liste ein und bekommt einen Bordausweis. Fünf, sechs Seeleute mit ernsten Gesichtern schauen zu, sie tragen Overall und Schal unter dem Sicherheitshelm. "ITF?", fragt einer. Christiansen nickt. Ein kurzes Lächeln zuckt über die Gesichter, zwei Jüngere heben kurz den Daumen. "Good, very good", sagen sie.

Heuer in Ordnung, Lebensmittel okay?, will Christiansen wissen. Ja, alles ist gut, sagen sie. Jetzt ja, aber in den Tagen zuvor nicht. Warum? Das soll der Kapitän erzählen. Begleitet von einem Seemann eilt Christiansen die engen Gänge und Treppen hoch.

Christiansen wird in den Salon gebeten: ein karger Raum mit einem Resopaltisch und Plastiklederbänken. In der Ecke ein Fernseher und ein Dutzend abgegriffene Videohüllen. Obenauf ein Hollywoodstreifen mit Gene Hackman aus den 80er-Jahren. In Brasilien hatte der Massengutfrachter Eisenerz geladen. 14 Tage dauerte die Fahrt über den Atlantik - dann musste die Crew vor der Elbmündung bei Helgoland den Anker werfen. Ein steter Ostwind hatte zu viel Wasser aus dem Strom gedrückt, sodass der schwere Erzfrachter zu tief für die Fahrt nach Hamburg war. 16 Tage lang ging das so, berichtet der Kapitän, ein freundlicher philippinischer Mittdreißiger. "Wir kamen uns schon vor wie ein Leuchtturm", sagt er und versucht ein Lächeln. Irgendwann gingen an Bord die frischen Lebensmittel aus und Gene Hackman flimmerte zigmal in dem Salon. Zweimal am Tag darf die Crew eine E-Mail nach Hause schicken, mehr nicht. Langweilig, sehr langweilig sei diese Zeit gewesen, berichtet ein anderer Seemann. "Mit Kreuzfahrt haben die Lebensbedingungen von Seeleuten nicht viel gemein - und das hier ist noch ein gutes Schiff", sagt Christiansen.

Doch Abwechslung in Hamburg - die gebe es auch nicht für die Seeleute der "Cape Harrier". Am nächsten Tag soll das Schiff wieder auslaufen. Und die lange Taxifahrt aus dem Hafen heraus bis in die Stadt, das ist für die Seeleute viel zu teuer, sagt Christiansen. Geschweige denn irgendwo ins Restaurant zu gehen, in ein Museum oder auf die Reeperbahn, wo die Touristen sich auf den Spuren von Seemännern wähnen. Ulf Christiansen sagt, die Zeiten von "La Paloma", Große Freiheit und Hans Albers seien vorbei.

 

 

Zweimaster "Undine": Hamburg – Sylt unter Segeln

Der Zweimaster "Undine" transportiert im Liniendienst zwischen der Hansestadt und der Nordseeinsel Zement, Möbel, Rum – und Passagiere.

Die weiße Kapitänsmütze sitzt salopp auf dem Kopf, seine Jeans hat er in die Stiefel gestopft. Mit einem Satz ist der drahtige Kapitän auf die Ladeluke gesprungen und gibt seinen acht Passagieren Sicherheitsanweisungen. Der Zweimaster "Undine" schwankt leicht im Museumshafen von Neumühlen. Man sei auf einem Frachtschiff – und auf einem Segelschiff, betont Torben Hass, ein früherer "Gorch-Fock"-Offizier. Er erklärt die Warnsignale, wo die Schwimmwesten verstaut sind, wo man die Kojen findet und dass man auf der Toilette in dem kleinen Kabuff besser mit einem Eimer Elbwasser nachspülen sollte.

Die in den 1930er-Jahren gebaute "Undine" ist eben keine "Aida"-Irgendwas, eher Blockhütte als Luxushotel. Handfeste Seefahrt, mit freiem Brückenstand und handbedienten Segeln. Und der einzige als Seeschiff registrierte Frachtsegler in Deutschland. Zum Jahreswechsel hatte Hass das Schiff von einem Jugendprojekt übernommen und damit die Hamburg-Sylt-Linie gegründet. Eine Wiedergeburt der Frachtschifffahrt unter Segeln – das klang ungewöhnlich. Sogar die britische BBC wollte ein Interview. 4000 Mail-Anfragen erreichten den "Undine"-Kapitän nach einem Abendblatt-Bericht über seinen Transportservice nach Sylt und über die Möglichkeit, als Passagier mitzufahren. Zum selben Preis wie Lkw-Speditionen schippert Hass Zement, Möbel und Lebensmittel auf die Nordseeinsel. Zurück geht es mit Strandkörben oder Sylter Mineralwasser.

Schon in Höhe der Elbstrände lässt Hass seine Drei-Mann-Crew die Segel setzen. Mit schwerem Zug rutschen die großen Gaffelbäume hoch, die Passagiere packen mit an, zu dritt zerren wir an den schweren Fallen – und spüren, was handgesegelt meint. Man duzt sich bald, wird Teil der Crew.

Man quatscht und schlürft heißen Tee, vielleicht mit einem Schuss Rum

Plötzlich zieht ein Gewitter auf. Matthias, nautischer Offizier an Bord, schlüpft in sein Ölzeug und steht dann unbeirrt weiter draußen am Steuerrad. Er fährt sonst auf großen Gastankern, für seinen Freund Hass macht er jetzt eine Urlaubsvertretung und scheint die traditionelle Seefahrt zu genießen. Sein Blick geht weit in den Dunst, sucht die Fahrwassertonnen. Wasser perlt von der Mütze. Die anderen verziehen sich in die Messe – eine Art Holzhütte an Deck, in der ein Küchenherd brodelt. Heiko, nautischer Assistent, legt Holz nach, wohlig ist die Wärme. Um den groben Tisch sitzen Mannschaft und Gäste, schnippeln fürs Abendessen Paprika und schälen Kartoffeln. Man quatscht, schlürft heißen Tee, vielleicht mit einem kleinen Schuss Rum. Heiko, ein hoch gewachsener Familienvater aus Flensburg, ist eigentlich Lungenfacharzt. Die Kinder sind bald groß, und er habe seinem Leben eine neue Wendung geben wollen, erzählt er. Jetzt studiert er an der Seefahrtsschule Nautik.

Bald ist der Regen vorbei, die Dämmerung zieht auf. Cuxhaven gleitet vorbei, die "Undine" rauscht dahin. In dicken Jacken genießen die Passagiere das Panorama oder wärmen sich am Holzfeuer in der Messe auf. Mit einbrechender Nacht lässt Kapitän Hass die "Undine" ins Nebenfahrwasser einlaufen, weit weg erscheinen die großen Frachter. Die Crew teilt die Wache ein, auf die Passagiere warten die Kojen im Vorschiff. Kleine, gemütliche Boxen übereinander, die man mit einem Vorhang verschließt. Es rauscht, plätschert, sanft wiegt sich die "Undine" in der Nordsee.

Am nächsten Morgen behauptet jeder, trotz der Enge wunderbar geschlafen zu haben. Nebel liegt nun über der öligen See, grau ist sie, grau der Himmel – und doch ist der Blick wunderschön. Ein Vogel hat sich auf den Klüverbaum gesetzt. Land in der Nähe? Dann tauchen Sandbänke auf, Seehunde liegen dort, schauen gelangweilt herüber. Immer noch lässt Kapitän Hass segeln, mit kaum drei Knoten schiebt sich die "Undine" gegen den Ebbstrom. 20 Stunden nach dem Ablegen kommt die Südspitze von Sylt in Sicht. Der Törn ist vorüber, die Bilder vom Vorabend kommen noch einmal in den Sinn. Etwa das hell erleuchtete Kreuzfahrtschiff vor Brunsbüttel. In dicken Regenjacken verpackt, mit heißem Teebecher in der Hand hatten wir den Lichterberg auf dem Wasser von Bord der "Undine" staunend angesehen. Tanz, Show und Büfett – das würden wohl die Passagiere dort gerade erleben, dachten wir.

Niemand von uns hätte da tauschen wollen.

 

 

MTC Marine Training Center Hamburg GmbH

Axel Tiedemann berichtet im Hamburger Abendblatt über das Hamburger Marine Training Center.
 
 

SEEFAHRT: NEUES SIMULATIONS-ZENTRUM IN EIDELSTEDT

Einmal Kapitän sein …

Das Abendblatt testete den Simulator, der als größter Europas gilt
– und ging auf „große Fahrt" nach Singapur.

Dass der weltweit modernste Schiffs-Simulator brillante Bilder erzeugen kann, war zu erwarten. Doch das hier überrascht: Dumpf scheint die Maschine zu vibrieren, die See vor dem Hafen von Singapur ist aufgewühlt. Alles schwankt. Der Horizont bewegt sich derart heftig, dass man sich als Test-Rudergänger unwillkürlich am kleinen Steuerrad festhält und mit den Beinen den Seegang auszugleichen versucht. Rund herum schäumt die See, dem Auge wird kein Ausstieg aus dem Szenario gegönnt. „Das mit dem Schwanken passiert mir jedes Mal auch“, sagt Kapitän Michael Henatsch und übernimmt netterweise das Ruder, um den simulierten Schlepper wieder auf Kurs zu bringen. Bis 2002 war der heute 62-Jährige Kapitän auf großer Fahrt. Jetzt ist er einer der Instruktoren im MTC, dem neuen „Marine Training Center“ an der Schnackenburgallee in Eidelstedt.

Für 6,5 Millionen Euro hat ein Konsortium aus elf Gesellschaftern dort ein Simulations-Zentrum aufgebaut, das als das größte Europas gilt. Beteiligt an dem Projekt sind unter anderem drei Reedereien, Lotsen, und ein Schiffsmaschinen-Hersteller.

Noch ziehen im MTC Handwerker die letzten Kabel ein, die offizielle Eröffnung ist erst am 27. Februar geplant. Doch schon seit gestern finden erste Kurse im Maschinen-Simulator statt. „Die Nachfrage nach qualifiziertem Personal ist eben noch enorm groß“, sagt MTC-Geschäftsführer Kapitän Heinz Kuhlmann. Ein Drittel aller Kurse sei bereits gebucht, bis zu 70 Teilnehmer täglich aus der Seefahrtbranche werden sich in Eidelstedt künftig weiterbilden. Und: Am Wochenende können dort auch Laien einmal zum Kapitän werden. Zwischen 300 und 600 Euro werden diese Seminare kosten.

Auch Stress-Training für Manager aus anderen Branchen findet sich im Kursprogramm. „Mal etwas anderes, als wenn Führungskräfte im Wald gemeinsam Holz hacken“, so Kuhlmann.

Im MTC gibt es für die ganze Palette mehrere Simulatoren, die sich miteinander zum Großteil auch verknüpfen lassen: So kann beispielsweise ein plötzlicher Maschinenausfall für Nautiker und Schiffsingenieure parallel für schöne Hektik sorgen. Wie in der Realität kommt es dann auf perfektes Zusammenspiel zwischen Brücke und Maschine an. Zudem gibt es eigene Simulator-Räume für die komplizierte Beladung von Tankschiffen, für die Funk- und Radarausbildung oder auch für Reparatur und Wartung riesiger elektrischer Schaltanlagen.

Herzstück der nautischen Weiterbildung sind jedoch die insgesamt sechs Brücken-Simulatoren. Mit dem großen 360-Grad-Panorama-Simulator lassen sich die etwas kleineren Steuerstände verbinden. Wie in einem gigantischen Computerspiel fahren dann alle Teilnehmer in derselben simulierten Szene. Schlepper bugsieren beispielsweise große Frachter an den Kai. Selbst Rettungssituationen mit einem Hubschrauber lassen sich trainieren.

Die Rechenleistung ist dabei enorm: Allein für ein einzelnes Schiff verarbeiten die Computer bis zu 2400 Variablen rund zehnmal in einer Sekunde. PS-Stärke des Motors, die Art der Ruderanlage oder auch die Rumpfform gehören dazu. Hinzu kommen unzählige andere äußere Einflüsse wie Wind, Seegang und der Schwell anderer Schiffe.

Oder auch Schnee – selbst in Singapur: jedenfalls beim zweiten Part der Abendblatt-Testfahrt. Diesmal mit einem großen Containerschiff. Wieder lassen die Bass-Lautsprecher den Boden vibrieren, als würde eine 40 000-PS-Maschine tatsächlich unter uns arbeiten. Langsam gleitet das 290 Meter lange Schiff auf die Container-Kais zu. Alles ganz locker. Zunächst.

Doch selbst bei „Maschine Stopp“ schiebt sich der Dampfer immer weiter. Plötzlich knattert links ein Hubschrauber, von achtern rauscht eine Fähre heran. Vor uns ein weiteres Schiff. Dann der Schnee und auch noch geräuschvolles Gewitter, kaum Sicht – das volle Programm. Links, rechts, backbord, steuerbord. Wir liegen quer. Doch bevor es richtig knallt, schaltet der Instruktor ab, und das ganze Dilemma gefriert zum Standbild. Gott sei Dank.

 

 

 

24 STUNDEN ELBABWÄRTS UND ZURÜCK

Unterwegs: Die Lenker der Giganten

Axel Tiedemann 

 

 Bis zu 10 000 Container stapeln sich an Bord der Giganten, die täglich die Elbe bis nach Hamburg herauf fahren. Noch größere Schiffe mit bis zu 13 000 Boxen sollen Ende des Jahres kommen. Zu sehen ist von solchen Dimensionen nur ein Teil: zehn, zwölf, manchmal auch 13 Meter und mehr ragen solche Riesen ins Wasser, so tief, wie ein vierstöckiges Haus eintauchen würde. Wer solche Ozean-Riesen auf einem kurvigen Fluss wie der Elbe steuert, muss aufpassen wie ein Lkw-Fahrer im Legoland. Ein Job für Spezialisten, der wie schon vor Hunderten von Jahren von erfahrenen Lotsen erledigt wird. Zwar arbeiten die erfahrenen Nautiker heute mit Radar und Satelliten-Technik. Doch wichtigstes Navigationsmittel sind nach wie vor Leuchttürme und Landmarken, mit denen die Männer immer noch präzisier navigieren können als mit der modernsten Technik. Das Journal hat Lotsen bei ihrer schwierigen Arbeit begleitet: Vom Ablegen im Hafen, die Elbe herunter bis zur Lotsen-Seestation, dem "Nordseehotel" in der Deutschen Bucht und wieder zurück.  Ein Protokoll.

 

11 Uhr, Lotsenstation Teufelsbrück

Durch die hohen Fenster der hellen Jugendstil-Villa fällt der Blick direkt auf die Elbe und das Airbus-Werk am anderen Ufer. Im Treppenflur knarrt altes Holz, mächtige Ölgemälde mit historischen Segelschiffen hängen an der Wand eines Besprechungsraumes, der immer noch an den Wohnsalon der Herrschaften erinnert, die hier einmal gelebt haben. Aus dem Wachraum dringen scheppernde Geräusche eines regen Funkverkehrs, jemand telefoniert auf Englisch, dann auf Deutsch: Elblotse Jörn Hamm hat heute Wachdienst, den übernimmt jeder der 250 Elblotsen hin und wieder. Hamm, ein stämmiger Mittvierziger, der gerne lacht, teilt die Schiffe zu, nimmt per Funk Aufträge der Schiffe an, wenn die einen Lotsen für die Elbe anfordern. An den Wänden hängen kleine Karten, die den Flussverlauf zeigen, gelbe und violette Farben zeigen die aktuellen Tiefen. Kleine Zungen sind zu erkennen, die an manchen Stellen in das tiefe Fahrwasser reichen. "Das sind aktuelle Sandeintreibungen, der Fluss ändert sich eben ständig, das muss man wissen", erklärt Hamm.

Anzeige

11.30 Uhr, Freihafen

Mit einem Versetzboot sind wir zur Hafenlotsen-Station auf Finkenwerder gebracht worden. Kurze Begrüßung mit dem Hafenlotsen Marcus Jünger. Für den 43-Jährigen ist es bereits der dritte "Job" heute. Ein Taxi fährt uns in den Hafen: Am Kai ragt der schwarze Rumpf der MSC "Seine" auf, graue und orangefarbene Container stapeln sich an Deck. Schon ein älteres Schiff, 1990 gebaut, 243 Meter lang. Das Surren der Hilfsdiesel ist zu hören, auf dem Kai-Gelände fiepen die Warnsignale großer Containerbrücken, wenn sie sich in Bewegung setzen. An der Gangway erwartet uns der 1. Offizier und eilt los. Ein untersetzter Russe mit einem kleinen Funkgerät in der Hand. Wir hasten hinterher. Kurzer Sicherheitscheck, ein Matrose teilt Besucherausweise aus. Es riecht nach warmem Öl und Metall. Große Seeschiffe fahren mit einer zähen Ölmasse, die erst erwärmt als Treibstoff verwendet werden kann. Wir quetschen uns in einen engen Fahrstuhl, der mit beängstigendem Rumpeln hoch zur Brücke fährt. Kapitän Iwan Nowikow wartet schon.

12.35 Uhr, Brücke der MSC "Seine"

Hafenlotse Jünger hat sich über technische Details des Schiffs informiert. Kapitän und Lotse stehen jetzt draußen, etwa 30 Meter über dem Wasser auf einer Art Balkon, der von der Brücke herausragt. Nock sagen Seeleute dazu. Die Sonne scheint, Hafen und Stadt bieten ein weites Panorama. "Ich mag solche Augenblicke - immer wieder", sagt Jünger. Per Handfunkgerät dirigiert er zwei Schlepper, die vorne und achtern am Frachter mit schwerem Tau verbunden sind. Die Leinen der MSC "Seine" sind losgeworfen, mit bulliger Kraft ziehen die Schlepper das Schiff quer von der Kaimauer weg. Hafenlotse Jünger ist nun mit voller Konzentration dabei, spricht in sein Gerät und hat das Wasser im Blick. Er schätzt Strömung und Winddruck ein. Funktioniert das Bugstrahlruder? Nein? Okay, dann machen wir es anders. Zwei Meter ist das Schiff nun vom Land weg. Maschine an, sagt Jünger. Der Kapitän gibt den Befehl weiter. Ein zartes Zittern durchläuft das Schiff, unmittelbar drehen sich Welle und Schraube, die ohne Getriebe von der Hauptmaschine angetrieben werden. "Starboard Ten, Starboard twenty - midships!" Kurze Kommandos von Jünger an den Rudergänger. Zwischendurch ein Blick aufs Radar, im Funk melden sich andere Schiffe. Der Containerfrachter biegt im großen Bogen aus dem Hafenbecken in den Strom. Das Bild der Stadt zieht an uns vorüber, als würde man vom einem drehenden Hochhaus aus den Ausblick genießen können. Wie Spielzeugschiffe erscheinen die Barkassen dort unten auf dem Fluss.

13.05 Uhr, Finkenwerder

Ein Lotsenversetzboot schmiegt sich eng an den Rumpf der MSC "Seine", beide Schiffe fahren gleich schnell mit sieben Knoten, etwa 13 Kilometer pro Stunde. Über die Lotsenleiter, eine breite Strickleiter, hangelt sich Elblotse Jörn Nennhaus an Bord und löst den Hafenlotsen ab, der mit dem Boot wieder zurück zur Station fährt. Am Vorabend um 21 Uhr war der 39-jährige Nennhaus von seinem vorherigen Einsatz nach Hause in Kirchwerder gekommen. Morgens noch ein gemeinsames Frühstück mit Ehefrau und kleiner Tochter - dann kam schon der Anruf von der Lotsenwache, dass er wieder an der Reihe ist. "Das funktioniert bei uns wie am Taxistand", sagt der gebürtige Mecklenburger und grient. Kaum wahrnehmbar brummt die Maschine des Schiffs, feine Vibrationen sorgen für ein leises metallisches Klimpern zwischen den Containern. Zu sehen ist dort niemand, nach dem Laden und Löschen in der Nacht zuvor hat sich ein Großteil der Mannschaft zur Freiwache zurückgezogen. Oben auf der Brücke beugt sich Kapitän Nawikow über Navigationsgeräte, studiert eine Gebrauchanweisung, überlässt dem Lotsen das Geschehen - der Kapitän behält aber jederzeit die Verantwortung. Nennhaus gibt Steueranweisungen an den Rudergänger. 300 Meter breit ist hier das Fahrwasser, begrenzt durch grüne und rote Tonnen. Die "tiefe Rinne" misst aber nur 250 Meter. Der Elblotse orientiert sich jetzt an Seezeichen und den Schornsteinen an Land.

 

 

15 Uhr, Höhe Stade

Die Revierzentrale "Elbe Traffic" informiert per Funk über zwei "außergewöhnlich große Fahrzeuge" auf dem Fluss: Vor 20 Minuten waren die hellen Aufbauten der "Cosco Europa" schon über dem grünen Land zu sehen. Jetzt begegnen sich beide Schiffe im engen Fahrwasser. Immer wieder schaut Elblotse Nennhaus aufs Radar, bespricht sich per Funk mit dem Kollegen auf dem Cosco-Frachter, lässt den Kurs korrigieren. Vorsichtig gleiten die beiden Containerschiffe aneinander vorbei. Präzisionsarbeit auf dem Wasser: 350 Meter lang ist die "Cosco Europa", bis zu 10 000 Container hat sie geladen, maximal 13 Meter tief ragt sie in den Fluss. Immer mehr dieser Giganten fahren den Hamburger Hafen an, 2008 waren es etwa 20. In diesem Jahr werden es schon 90 sein, die mehrmals im Jahr kommen. Ende des Jahres werden sogar 400-Meter-Riesen erwartet. Ein Trend, der sich durch die Weltwirtschaftskrise noch verstärkt, weil große Schiffe im Verhältnis zur Ladungsmenge wirtschaftlicher sind. Zwar haben die Lotsen auf der Elbe krisenbedingt bei ihren Einsätzen einen Einbruch von 15 Prozent verzeichnet. "Doch das nutzen wir gut, um uns auf die großen Schiffe vorzubereiten", sagen sie. Am Simulator in Hamburg werden solche Manöver wie eben immer wieder geübt.

15.30 Uhr, Höhe Glückstadt

Die Elbe wirkt hier wie ein Kanal.. Rechts und links drehen sich Windräder. Bis zum Horizont sind die hellen, dünnen Stäbe zu erkennen und lassen die Elbe wie eine riesige Windrad-Allee erscheinen. "Asiaten sind immer ganz fasziniert von diesem Anblick", sagt Lotse Nennhaus

16.30 Uhr, Elbmündung

Vor Brunsbüttel war wieder Lotsen-Wechsel mit einem Versetzboot. Jetzt steht Elbloste Norbert Seipel, ein 55-jähriger gebürtiger Bayer vom Ammersee, auf der Brücke und blickt auf die graue Nordsee vor uns. "Hier draußen sind wir ein bisschen freier", sagt er und lässt die Geschwindigkeit ein wenig erhöhen. Wie alle Lotsen ist auch er lange Zeit Kapitän auf großer Fahrt gewesen. Bis die Familie in Itzehoe Anfang der 90er auf den eher heimatnahen Lotsenjob drängte. Der Flutstrom setzt nun voll ein, drückt mit gut drei Knoten seitlich aufs Schiff. Seipel peilt Landmarken, voraus und achtern, eilt zwischen den Brückennocken hin und her, blickt immer wieder durchs Fernglas. Er gibt neue Anweisungen an den Rudergänger, der Frachter driftet wie in einem kontrollierten Rutschen in den großen Bogen vor Cuxhaven. "Wir lassen ihn jetzt in den richtigen Kurs reinsacken", sagt Seipel dazu. Vor uns spannt sich scheinbar eine weite Meerlandschaft. Doch der Blick täuscht: eine tiefe Fahrrinne auch hier, viele Sandbänke unter Wasser, die sich immer wieder verändern. In Seipels Kopf entsteht ein dreidimensionales Bild, eine Art Hügellandschaft unter Wasser. Er muss nun den tiefsten Weg durch die verschlungenen Täler finden.

18.50 Uhr, Deutsche Bucht

Die Seestation der Lotsen kommt in Sicht: Der rote Rumpf und die weißen Aufbauten der "Hanse" zeichnen sich scharf vor dem blauen Himmel ab: 50 Meter lang ist das Schiff, 22 Meter breit. Es erinnert an eine Ölplattform auf zwei Kufen. In der Nähe fliegt förmlich ein ähnliches Fahrzeug durch die Wellen, nur deutlich kleiner: der Tender der Station, der wie ein Taxi zwischen den großen Seeschiffen pendelt. 24 Stunden lang, jeden Tag, bei fast jedem Wetter, werden hier Lotsen an Bord gebracht oder wieder abgeholt. Swath -Schiffe heißen solche Fahrzeuge. Ihr Prinzip sind zwei sehr tiefe Kufen, als würde der Rumpf auf zwei U-Booten stehen, Automatische Flossen steuern an den Kufen den Wellengang aus. Swath-Schiffe sind extrem seetüchtig , bewegen sich kaum in der See. Vor zehn Jahren haben sie die Elblotsen in Dienst gestellt, weil der Versetzdienst in der rauen Nordsee mit ihnen viel reibungsloser abläuft als mit den alten Schiffen, die oft schwer in der See rollten. Die Lotsen von der Weser und auch in Belgien wollen dieses System demnächst übernehmen.

20 Uhr, Seestation "Hanse"

Der Tender der Seestation hat uns abgeholt. Elblotse Seipel schreibt sich unten in der Lotsenmesse in der Liste ein. Drei, vier Stunden oder auch länger muss er nun warten, bis er wieder an der Reihe ist und ein Schiff zurück nach Brunsbüttel lotsen kann. Wir gehen hinunter in die Messe: Wenige müde Gesichter am Tisch, das Fernsehgerät läuft, ein großes Radarbild von der Elbmündung schimmert in einer anderen Ecke, kleine grüne Dreiecke, die wie Käfer über den Schirm zuckeln, zeigen, wann sich wieder ein Frachter nähert. In der Küche gibt es noch Kartoffelsalat, Frikadellen, Rollbraten und Salat.. Einige Lotsen haben sich hingelegt. Ruhig ist es an Bord und in den Gängen der Kabinen: "Freiwache schläft" mahnt ein Schild. 18 Mann arbeiten hier im Dreischichtbetrieb fest auf der "Hanse": Matrosen, Stewards, Köche. Dazu sechs Leute für die Tender und kleinen Versetzboote. "Die Männer gehen bei jeden Wetter raus, ohne Zögern. Unsere Matrosen kommen eben fast alle aus Fischerei", sagt "Hanse"-Kapitän Detlef Neuhaus. 14 Tage haben der 47-Jährige und seine Crew Dienst auf der Hanse, die hier in einem sechs Kilometer großen Radius durch die Wellen kreist wie eine Raumstation im Orbit. Nach den beiden Dienstwochen geht es zurück nach Cuxhaven zum Wechsel der Crew und zur Aufnahme von Proviant. Die Männer haben dann auch 14 Tage frei. Sauna, Fitnessraum und eine gute Küche schaffen den nötigen Komfort an Bord der Seestation. "Die Betten werden immer frisch gemacht", schwärmt Kapitän Neuhaus. "Zu Hause heißt es immer, wir werden viel zu sehr verwöhnt." Deshalb wird die "Hanse" gern mal "Nordsee-Hotel" genannt. "Oder auch Männerpension für betreutes Wohnen", sagt Neuhaus und lacht laut.

21.45 Uhr, Seestation "Hanse"

Dunkelrot verabschiedet sich die Sonne von diesem Tag, einzelne Lichter blinken und leuchten in der Ferne. Schwach sind die Positionslampen des Lotsen-Tenders zu erkennen, der wie ein flinker Kellner unermüdlich zwischen den Schiffen da draußen pendelt. Im Funk meldet sich die "Cap Ortegal", ein von der Reederei Hamburg Süd gechartertes Containerschiff. Es kommt nach 35 Tagen zurück von einer Rundtour durchs östliche Mittelmeer. 30 Meilen ist es noch entfernt, gegen 24 Uhr, teilt es mit, werde ein Lotse benötigt. Knapp neun Meter Tiefgang hat der Frachter, ein schnelles Schiff, das begehrt ist bei den Lotsen: Drei Stunden braucht es, bis es vor Brunsbüttel ist. Mit Pech erwischt ein Lotse aber auch einen kleineren Dampfer, der sich mühsam gegen den starken Ebbstrom kämpfen muss. Dann kann eine solche Tour auch mal acht Stunden dauern. Doch wir haben Glück und dürfen mit der "Cap Ortegal" zurück nach Hamburg.

23.50 Uhr, Deutsche Bucht:

Die "Cap Ortegal" ist jetzt nur noch wenige Meilen entfernt. Wir folgen dem Elblotsen Lutz Nase, der zum Tender eilt. Mit einem Fauchen, das an S-Bahn-Züge erinnert, treibt der diesel-elektrische Antrieb das Versetzschiff durch die Nordsee. Voraus ist der rote Rumpf des Containerfrachters zu erkennen. Mit einem Suchscheinwerfer peilt die Tender-Mannschaft die Lotsenleiter an, die jetzt vom Frachter heruntergerollt wird. Müdigkeit macht sich bei uns bemerkbar, wir schnallen die Rucksäcke fester. Der Tender schiebt sich mit rascher Fahrt an den riesigen roten Rumpf, zwischen beiden Schiffen gurgelt gefährlich das Wasser, weißer Schaum in dunkler Nacht blickt uns an. Ein Gefühl, als müsse man in voller Fahrt vom Moped auf einen Bus umsteigen. Beide Schiffe fahren nun etwa gleich schnell. Ganz dicht vor uns pendelt die Leiter, die im dunklen Nirgendwo dieses haushohen Schiffrumpfes endet. Mutig greifen wir das raue Seil. Hält es? Schon mancher Lotse ist hier abgeschmiert, heißt es. Sie überlebten dank Rettungsweste. Keuchend schaffen wir es nach oben. Ein Offizier begrüßt uns, ein freundlicher rundlicher Filipino. Wieder geht es im Laufschritt hoch zur Brücke. Kapitän Kosak erwartet uns schon. Ein ruhiger Mann aus Elsfleth, mit 67 Jahren eigentlich schon in Rente. Doch der Bedarf an Nautikern ist groß. Kossak springt immer mal wieder ein. Oben auf der Brücke ist es nahezu dunkel, nur kleine Instrumentenlichter schimmern. Aus der Dunkelheit tritt plötzlich ein Filipino. "Coffee, Sir?", fragt er lächelnd.

4 Uhr, Pagensand

In Brunsbüttel haben wieder die Lotsen gewechselt. Wir sind zurück im Flusslauf. Verwirrend viele Lichter blinken, schimmern und leuchten auf dem Wasser und am Ufer: rote, weiße, grüne. Für den Elblotsen Thomas Deising sind sie die wichtigsten Orientierungspunkte, wichtiger noch als das Radar. Richtfeuer heißen manche dieser Leuchttürme. Ein kleiner Turm steht vorne, ein größerer einige Meter dahinter. Wenn man beide Lichter genau übereinander sieht, befindet man sich mitten im Fahrwasser, erklären uns Kapitän und Lotse. Eine alte Navigations-Methode, die der Elektronik oder Satellitentechnik immer noch weit überlegen sei.

5.15 Uhr, Blankenese

In der Morgendämmerung gleitet das Schiff auf Hamburg zu. Hin und wieder nicken wir ein, da hilft auch kein "Coffee" mehr. Die sonoren Stimmen von Lotse und Kapitäne dringen manchmal ins Bewusstsein, die beiden scheinen mit der Müdigkeit kein Problem zu haben. Gleich wird der Elblotse wieder vom Hafenlotsen abgelöst. Spätestens gegen sechs Uhr wird das Schiff am Kai liegen. Morgen schon soll es wieder ablegen - und zurück zur Nordsee fahren, wieder begleitet von einem Lotsen. Ein ewiger Kreislauf. Aber nur der hält den weit im Binnenland liegenden Hafen am Leben.