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Über die Stadt
 

 

Oberbaudirektor Jörn Walter setzt auf neue Architektur. Viele Bürger sehnen sich hingegen nach traditionellen Formen und auch einige Planer bevorzugen ältere Stilelemente. Eine Debatte.

 

Von Axel Tiedemann und Oliver Schirg

Hamburg. Die Reaktionen auf seinen Entwurf hätten kaum unterschiedlicher sein können. Als der Hamburger Architekt Jakob Siemonsen seine Zeichnungen für ein viergeschossiges Wohnhaus in Eimsbüttel dem Bauamt präsentierte, erntete er zunächst Kopfschütteln. Gründerzeit neu bauen, selbst wenn es ein Passivhaus ist? Nein, das stieß dort auf wenig Gegenliebe.

Bitte nicht "historisierend", hieß es zunächst, erinnert sich Siemonsen. Anders die Reaktionen vieler Passanten, nachdem er und sein Bauherr sich beharrlich doch noch mit der Idee durchsetzen konnten, ein modernes Haus in einem Stil mit historischen Anklängen zu bauen.

"So viel Zuspruch, das war schon ungewöhnlich", sagt der 40-Jährige. Ähnlich die Reaktionen in der Internetgemeinde: "Geht doch!" "eine Wohltat fürs Auge!" – so und ähnlich lauten viele Kommentare im Netz zu Berichten über das ungewöhnliche Gebäude. Und auch bei einer Online-Umfrage des Hamburger Abendblatts votierten 92Prozent der Teilnehmer für eine Rückbesinnung auf alte Stilelemente bei Neubauten. So wie es Siemonsen gemacht hatte.

Ganz deutlich äußert sich die Internetgemeinde auch regelmäßig, wenn es um die große Architektur-Wettbewerbe in Hamburg geht. Etwa für die Neue Mitte Altona, wo kürzlich die Pläne für die ersten Wohnblöcke dieses neuen Stadtteils von einer Fachjury um Oberbaudirektor Jörn Walter ausgewählt wurden. Moderne, eher rechteckige Flachdachbauten sind dort nun geplant, so wie sie vielfach auch in der HafenCity und an vielen anderen Ecken der Stadt gerade neu gebaut werden. "Bauklötzchen mit angeklebten Balkonen" oder "Tetris-Architektur" sind da noch freundlichsten Formulierungen der vielen ätzenden Kommentare.

Offensichtlich klafft im Geschmacksempfinden zwischen Bürgern und vielen Fachleuten in Sachen Architektur eine riesige Kluft. Architekt Siemonsen spricht gar von einem Krieg der Stile. Entwürfe mit Anlehnungen an frühere Architektur seien ihm und seinen Kommilitonen schon im Studium von den Professoren um die Ohren gehauen worden.

Eine Chance mit solchen Gründerzeit- oder Jugendstilentwürfen für die großen, städtischen Wettbewerbe wie für HafenCity oder Neue Mitte sieht er aber kaum. Und selbst die beamteten Stadtplaner in den Bezirksämtern sperren sich dagegen. "Zu replikenhaft" sei der Entwurf, bekam Siemonsen erst kürzlich wieder in Altona zu hören, als er für einen Neubau Entwürfe präsentierte.

Auch der Architekt Matthias Ocker macht oft solche Erfahrungen. Der Hamburger gilt als der wohl bekannteste Planer traditioneller Architektur in der Hansestadt. Ocker baute bereits in der Schweiz, in den USA, in Kroatien und anderen Ländern. Nirgendwo aber ist die Ablehnung traditioneller Formen so vehement wie in Hamburg, sagt er. Bei Architektur-Wettbewerben unter städtischer Regie werde er deshalb gar nicht erst eingeladen. "Und wenn ein Investor darauf drängt, weiß ich, dass ich auf dem letzten Platz lande."

Wenige Planer sind so deutlich wie Ocker. Die meisten machten das Spiel mit, um weiter am Tisch sitzen zu können, glaubt er. Aus gutem Grund: In der hochverdichteten Stadt lässt sich heute kaum bauen ohne Ausnahme oder Befreiung vom gültigen Bebauungsplan. Und das ist dann der Hebel für Behörden, ihre Stilvorstellungen durchzusetzen. Und sei es nur, dass es eben dauert mit der Genehmigung, weil noch Diskussionsbedarf besteht. Viel Zeit oder gar einen langen Rechtsstreit mag sich allerdings kaum ein Investor erlauben. "Eine Stadtentwicklungsbehörde darf aber keine Geschmacksbehörde sein", sagt Ocker.

Dass Anlehnungen an historische Architektur in Ämtern und bei Wettbewerben auf geradezu reflexartigen Widerspruch stößt, erlebt auch der Altonaer Baupolitiker Uwe Szczesny immer wieder. Gerade in Hamburg, gerade in Altona, wie er sagt. "Das beklage ich schon lange, das muss sich ändern", fordert er. Doch woher kommt dieser Widerwille gegen "historisierende oder auch Retro-Architektur", wie sie von Kritikern bezeichnet wird? Die Argumente, die der Kommunalpolitiker Szczesny auf seine Anmerkungen zu hören bekommt, sind immer gleich: Man dürfe andere Epochen nicht einfach kopieren, jeder Bau müsse auch ein "Ausdruck seiner Zeit" sein.

Doch die vehemente Ablehnung dürfte noch viel tiefere Ursachen haben. Vor dem Zweiten Weltkrieg wollten die Vertreter des Bauhauses eine neue demokratische Architektur: kein Ausschweifen mehr in einer opulenten Fassaden-Ornamentik, die aber triste Hinterhöfe zulässt. Stattdessen forderte eine neue Architektengeneration durchdachte, luftige, besonnte Quartiere. Verständlich in einer Zeit, als die Menschen in den heute so begehrten Gründerzeitquartier häufig sehr beengt wohnen mussten. Die Form müsse der Funktion folgen, hieß es und: "Weniger ist mehr" – das waren die Leitsprüche dieser neuen Richtung, die mit bescheidenden Mitteln Gutes für die große Masse bauen wollte. Das Flachdach wurde so zum Dach der Moderne.

Die Nazis zwangen dann wieder zu Entwürfen, die mit traditionellen Formen arbeiteten. Pathos und Symbole der Macht prägten diese kurze Architekturepoche. In Hamburg wurden gar moderne Flachdachbauten wieder mit Dächern versehen. Vertreter des neuen Bauens wurden aus den Ämtern gejagt, so wie Oberbaudirektor Fritz Schumacher in Hamburg und Bausenator Gustav Oelsner in Altona. Steckt diese Erfahrung hinter der Ablehnung traditioneller Formen vieler Stadtplaner gerade in Hamburg? Ist es eine Art Abgrenzung zur Nazi-Architektur? Historisch zu bauen gilt zumindest oft als reaktionär und irgendwie politisch stramm rechts. Das Gegenteil ist dann eben die Moderne, das Flachdach, der Verzicht auf Symbole, eckige, klare Formen.

Als "Rechte-Winkel-Fetischisten" bezeichnet der Architekturkritiker Holger Reiners die heute herrschende Lehrmeinung und fordert wieder mehr Mut zum Dekor – so wie bei den Entwürfen von Siemonsen oder Ocker _ "Die Leute wollen Emotionen, emotionale Architektur", sagte er in einem Abendblatt-Interview.

Bis in die Gründerzeit, bis in die Jugendstilzeit habe man das zugelassen. "Dekor. Dachformen, unterschiedliche Fassaden, jedes Haus hatte eine eigene Adresse", sagt Reiners. Die Moderne, das heutige Bauen sei hingegen oft lediglich eine "Fehlinterpretation des Bauhauses." Architekten, forderte Reiners in einer Streitschrift, müssten sich ihre Bestätigung wieder mehr bei den Menschen holen, nicht allein in der eigenen Zunft.

Diese Sehnsucht vieler Bürger nach traditionellen Formen kennt auch Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter. Sie habe ihre Ursache in den vielen Kriegszerstörungen, vermutet er. Viel Altes sei daher verschwunden. "In italienischen Städten haben Sie diese Kontroverse nicht." Walter sieht sich selbst dennoch als Verfechter des zeitgenössischen Bauens. "Es stört mich beispielsweise überhaupt nicht, wenn in einem Gründerzeitviertel Gebäude mit einer historisierenden Fassade gebaut werden. Das stört das Stadtbild nicht, auch wenn es die Architektur baukünstlerisch nicht voranbringt."

Anders in neuen Stadtteilen wie der HafenCity und der Neuen Mitte Altona: "Dort sollte im Stile unserer Zeit gebaut werden. Es geht dabei um die Implementierung der neuen Herausforderungen: die Suche nach einer baukünstlerischen Gestalt für unsere Wohn- und Arbeitsbedürfnisse und ökologischen Ansprüche in einem bezahlbaren wirtschaftlichen Rahmen." Das bedeute aber keine Abkehr von Traditionen: Größe, Höhe, Maßstäblichkeit der Gebäude in der Neuen Mitte etwa seien aus den umliegenden Stadtvierteln Altona-Nord und Ottensen hergeleitet worden. "Aber natürlich wird die Mitte Altona ein neuer Stadtteil. Bauen in der Stadt heißt weiterbauen, sagt Walter.

Architekten wie Ocker halten dagegen: Es gehe gar nicht darum, ein Museum zu bauen. Sondern darum, den Charakter der eigenen Stadt zu erkennen und traditionelle Formen weiterzuentwickeln, um den Menschen eine Identifikation zu geben: "Warum soll alles aussehen wie in Dubai?" Man müsse wieder Vielfalt zulassen. Das fordert auch Bezirkspolitiker Szczesny. Beides müsse möglich sein: traditionell und modern. Die Architektur der ersten Gebäude in der Neuen Mitte Altona lehnt er deshalb auch nicht ab. "Die sind ganz okay", sagt er. Begeisterung klingt allerdings anders.

 

 

 

 

 

 

Wohnen wird Luxus

Hamburg muss den Anstieg von Miet- und Immobilienpreisen bremsen

 

Wenn man sich auf eine heiße Herdplatte setzt, gleichzeitig aber die Füße in einen Eimer mit kaltem Wasser stellt - dann geht es einem gut. Statistisch gesehen jedenfalls. Und statistisch gesehen liegt die Durchschnittsmiete in Hamburg noch bei für viele vertretbaren 7,15 Euro pro Quadratmeter. Vielerorts wie im Süden und Südosten der Stadt auch darunter.

Zwar verzeichnet die Stadt enorme Anstiegsraten bei Neuvermietungen - doch eine Wohnungsnot sähe anders aus, heißt es in der Immobilienbranche. Wohl wahr. Aber für alle diejenigen, die die Lebensqualität schätzen, die gerade die innenstadtnahen Viertel bieten, nützt das wenig. Altona, Eimsbüttel oder Eppendorf - diese Stadtteile erleben dann bei Neuvermietungen oder bei Eigentumswohnungen den größten Preisanstieg. Mehr als 15 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter für eine neue Wohnung ist da schon Standard. Hier tut die Statistik weh, hier sitzt man, um im Bild zu bleiben, auf der heißen Herdplatte.

Eben weil diese Quartiere so beliebt sind. Ganz deutlich zeigt sich das in der Zahl der Baugenehmigungen, die die Bezirke im Zuge der Wohnungsbauoffensive an den Senat melden müssen: Harburg schafft seine Vorgabe nicht; Altona genehmigt doppelt so viele Wohnungen, wie der Bezirk muss.

Betroffen von hohen Preisen sind vor allem jene, die sich verändern wollen oder müssen. Veränderung ist teuer geworden in Hamburg. Zu teuer. So bleiben junge Pärchen lieber in ihren zwei Wohnungen mit alten Mietverträgen, weil sie beim Zusammenziehen nicht sparen, sondern draufzahlen. Wenig verwunderlich auch, dass weit mehr junge Familien trotz hoher Mobilitätskosten Hamburg mit neuem Wohnort im Umland verlassen, als von dort in die Stadt ziehen.

Günstige Randlagen wie etwa Harburg können diese Verdrängung offenbar nicht auffangen. Das liegt zum einen sicher auch an einem Imageproblem mancher Stadtteile. Aber Altona, Eimsbüttel oder ähnliche Viertel sind schlicht so angelegt und gewachsen, dass man dort gut und gerne wohnt. Die Mischung scheint zu stimmen. Kann man aber dadurch eine Art Jedermannsrecht ableiten, dort wohnen zu dürfen - auch wenn es immer teurer wird? Das ist die eine Frage. Die andere ist, ob wir es zulassen wollen, dass nur derjenige dort wohnen kann, wo er will, wenn er viel Geld hat. Alle anderen aber nur dort, wo sie müssen?

Beide Fragen muss man natürlich mit Nein beantworten. Also sind andere Lösungen gefragt: Verdächtig oft nennen Experten die großen Anforderungen an energetisches Bauen als einen Preistreiber. Klimaschutz kostet. Vielleicht zu viel, so geflissentlich, wie wir ihn in Deutschland betreiben. Der Erfolg ist sowieso zweifelhaft: Hässliche Dämmplatten in Hamm helfen wenig, wenn weltweit weiter und immer mehr Klimagase in die Luft gepustet werden.

Wichtiger aber noch ist es für die Stadtplanung, ein Auseinanderdriften in arme und reiche Viertel zu stoppen. Immer wenn städtische Grundstücke zu Bauland werden, hätte die Stadt dafür ein geeignetes Mittel. Etwa indem sie noch mehr als bisher Flächen günstig an Baugenossenschaften oder Baugemeinschaften abgibt - und zwar gerade dort, wo es teuer ist. Oder die Vergabe von Flächen müsste mehr noch mit der Bedingung zum Bau von Sozialwohnungen verknüpft werden. Selbst auf nicht städtischen Grundstücken wie etwa bei der Neuen Mitte Altona gibt es die Möglichkeit, mit Verträgen solche Preisdämpfer quasi gleich von Anfang an mit einzubauen. Dort verhandelt die Stadtregierung auch derzeit hart über solche Maßnahmen mit den Eigentümern. Sie sollte sich nicht beirren lassen darin.

Noch mehr Hitze im Wohnungsmarkt wäre nicht gut für Hamburg - auch wenn der statistische Durchschnitt noch vertretbar erscheint.

 

 

Hamburgs wunder Punkt

Der Stadt fehlen Geld und Personal, um die Neue Mitte Altona selbst zu realisieren

Manchmal sind es gerade frohe Botschaften, die verraten, dass da reichlich Nervosität im Hintergrund mitspielt. So hat Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD) verkündet, dass man sich für das ehrgeizige Wohnungsbauprojekt Neue Mitte Altona mit dem Investor ECE in wesentlichen Punkten geeinigt habe und generös auf ein Vorkaufsrecht verzichte, weil der eigentlich in der Entwicklung von Shoppingcentern geübte Hamburger Konzern auf der Brachfläche am Bahnhof Altona auch dringend benötigte Sozialwohnungen bauen werde.

Das ist lobenswert. Allerdings muss man bedenken, dass ECE die 45 000 Quadratmeter bereits im Frühsommer von Holsten gekauft hat. Man darf getrost davon ausgehen, dass sich ECE-Chef Alexander Otto oder seine Mitarbeiter zuvor von Senatsvertretern, wenn nicht vom Bürgermeister selbst, schon hat versprechen lassen, auf ein solches Vorkaufsrecht zu verzichten. Und im Gegenzug den Bau der Wohnungen zugesagt hat.

Wenn Blankau die Umsetzung der Vereinbarung verkündet, hat das einen guten Grund, denn die Verhandlungen zwischen Investoren und der Stadt über Kostenbeteiligungen bei dem Projekt haben sich deutlich in die Länge gezogen. Eine positive Meldung kann da nicht schaden.

Den Abschluss der Verträge erwartet sie erst im kommenden Jahr. Auch die Bürgerschaft braucht viel länger als erwartet. Ursprünglich sollten auf dem weitgehend brachliegenden Gelände schon in diesem Jahr die Bagger anrollen - nun entscheidet Hamburgs Parlament erst in zwei Wochen über den Masterplan, der Grundlage für konkrete Bebauungspläne ist. Und für deren Erarbeitung brauchen die Behörden aller Erfahrung nach noch mal gut eineinhalb Jahre.

Die Verzögerungen haben viele Gründe. Zum einen hat Hamburg ein sehr umfangreiches Bürgerbeteiligungsverfahren gestartet, das zu kritischen Nachfragen führt. Gebremst wird das Projekt auch, weil sich die Bahn mit ihrer geplanten Verlegung des Fernbahnhofs unverantwortlich viel Zeit lässt. Offen ist daher immer noch, ob der zweite Abschnitt überhaupt gebaut werden kann. Der Bahn muss von der Politik noch deutlicher als bisher klargemacht werden, dass sie eine faszinierende Innenstadtentwicklung in Hamburg blockiert.

Aber auch die Politik meldet zahlreiche Wünsche an. Möglichst günstig sollen die Wohnungen werden, behindertengerecht sowieso, und autoarm soll der Stadtteil sein. Eine Schule soll dort gebaut werden sowie ein großer Park. Doch welcher der Investoren gibt dafür Flächen her, wer muss auf Rendite verzichten? Auch unter den beteiligten Unternehmen gab und gibt es zähe Verhandlungen.

Gleichzeitig legen Kritiker den Finger in eine Wunde: Warum, so fragen sie, überlässt die Stadt die mit Sicherheit zu erwartende Bodenwertsteigerung eigentlich privaten Unternehmen? Warum macht sie nicht doch vom Vorkaufsrecht Gebrauch, finanziert aus dem Gewinn die Erschließung und verkauft das Areal an viele, statt es im Wesentlichen zwei Großunternehmen zu überlassen?

Wer in den Behörden nachfragt, bekommt hinter vorgehaltener Hand eine deutliche Antwort. Es fehlen der Stadt Geld und Personal, um ein großes Vorhaben mit 3500 geplanten Wohnungen zu realisieren. Das mag stimmen. Deshalb ist die Einigung zwischen ECE und Stadt wohl ein Fortschritt. Aber kein Grund, darauf zu vertrauen, dass alles seinen Gang geht und dort irgendwann neue günstige Wohnungen stehen. Die Lage mitten in der Stadt ist eben zu verlockend, sie möglichst teuer zu verkaufen. Doch diese Lage bietet auch die Chance auf bezahlbare Wohnungen in zentraler Lage. Das lässt noch manche Diskussionen erwarten. Auch wenn es nun so aussieht, als habe man sich bestens geeinigt.

 

Aus Fehlern lernen

Wohnungen und ein Einkaufskomplex - Chance für das Überseequartier in der HafenCity

 

Eigentlich sollte das Überseequartier in der HafenCity das Herzstück dieses neuen Stadtteils werden: Geschäfte mit internationalen Marken, Luxuswohnungen, Büros, Kreuzfahrtterminal, Hotel und ein großes Science Center - die Pläne waren hochfliegend, als das Investoren-Konsortium 2005 den Zuschlag von der Stadt bekam. Bis 2009 ging es noch gut, der Nordteil ist weitgehend realisiert. Und auch die Stadt ist ihrer vertraglichen Verpflichtung nachgekommen und hat eineU-Bahnlinie in die HafenCity gebaut. Doch wer heute die lange Rolltreppe hochfährt zur Station Überseequartier landet in einer riesigen Brachfläche mit angegrünten Betonfundamenten und Sandbergen.

Seit Jahren ist schon kein Fortschritt zu erkennen. Dabei hatte die Stadt noch 2010 eine Verpflichtung verlängert und eine Miet-Garantie für 50.000 Quadratmeter Bürofläche abgegeben, um in der Finanzkrise wieder Banken für das Vorhaben zu begeistern. Das werde die "Initialzündung" zum Weiterbau sein, argumentierte HafenCity-Geschäftsführer Jürgen Bruns-Berentelg. Heute wäre dieser Satz eine Steilvorlage für viel Häme.

Immer ist noch nichts gebaut; und trotz städtischer Garantie, die inzwischen faktisch verfallen ist, konnte das Konsortium offensichtlich keine Finanzierung für das 650-Millionen-Euro-Projekt hinbekommen. Die Zündung ist verpufft und hat noch nicht einmal kleine Qualmwölkchen hinterlassen. Doch wie heißt es? Hinterher ist man immer schlauer - das weiß man im Club der Besserwisser, die in der Rückschau immer eine schlüssige Erklärung für Fehler finden. Die natürlich andere gemacht haben.

Doch wie sich die Folgen der weltweiten Finanzkrise auswirken würden, dass sie überhaupt ausgelöst wurde - das konnte in Wahrheit niemand seriös vorhersagen. Zu keiner Zeit. Die großen Zufälligkeiten, die "schwarzen Schwäne", wie der Bestsellerautor und Professor für Risikoanalysen, Nassim Nicholas Taleb, sie nennt, bestimmen viel mehr Geschicke, als man gemeinhin annimmt.

Ob ein großer Konzern oder ein Fußballverein Erfolg hat oder krachende Niederlagen erlebt - das ist oft weniger Verdienst oder Schuld von einzelnen Managern oder einem Trainer, sondern eher eine Abfolge von zufälligen Ereignissen. Dennoch lassen sich aus der schwierigen Entwicklung des südlichen Überseequartiers Lehren ziehen.

Ein so riesiges Stadtentwicklungsprojekt an einen einzelnen Investor zu vergeben birgt große Gefahren. Besser geschützt vor den schwarzen Schwänen, den zufälligen Risiken, ist man eher bei einer kleinteiligen Vergabe. Das zeigt die weitere Entwicklung der HafenCity, die ja trotz des Infarkts in ihrem Herzen flott weiterwächst mit vielen Einzelprojekten.

Auch aus einem schwarzen Schwan kann ein weißer werden: Wenn die HafenCity GmbH einen neuen Kurs für das Überseequartier einschlägt, birgt das eine Chance, wie sich schon abzeichnet. Statt immer weitere Büros auf den von Leerstand geprägten Hamburger Markt zu bringen, wird nun auf politischen Druck doch geprüft, ob man dort nicht Wohnungen bauen kann. Und spannend ist die Suche nach einem neuen Konzept für einen großen Einkaufskomplex: Klappbare Dächer, Windschutzsysteme gegen die scharfe Brise, die an der Elbe oft weht - das macht Sinn.

Allerdings suchen die HafenCity-Planer dazu jetzt nach einem neuen Investor, der in das bisherige Konsortium einsteigen könnte. Wie diese Suche ausgeht, ist noch offen.

Vielleicht sollte Hamburg parallel aber auch eine andere Option prüfen. Selbst mit neuem zusätzlichen Investor bleibt es ein großes Konsortium, das dort die Entwicklung bestimmt. Vielleicht wäre es an der Zeit, das kranke Herz der HafenCity mit vielen Partnern zu heilen.

 

Buhmann Radfahrer

"Rüpel-Radler" sind die Ausnahme, Hamburgs Verkehrspolitik ist mangelhaft

 

Sie fahren bei Rot über die Ampel, radeln ohne Licht oder düsen falsch herum in eine Einbahnstraße: Wenn man einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov glauben darf, sind manche Radler die größte Gefahr auf unseren Straßen. 82 Prozent der Autofahrer fühlten sich von ihnen bedroht, will YouGov herausgefunden haben. Mehr als von Geisterfahrern. Vor denen zittern "nur" 69 Prozent. "Rüpel-Radler" werden jene Fahrradfahrer genannt, die jetzt auch der Jurist und Präsident des Verkehrsgerichtstags, Kay Nehm, bei der Jahreskonferenz des Expertengremiums ins Visier genommen hat: Härtere Strafen sollen sie zur Räson bringen, fordert Nehm. "Kaum ein Radler fährt mit vorgeschriebener Beleuchtung, kaum ein Radler kümmert sich um Fahrtrichtung oder um Ampeln", wird er zitiert. Da muss er auf dem Weg nach Goslar wohl einige gemeine Erlebnisse mit Radlern erlebt haben, um zu solchen - sagen wir einmal vorsichtig - steilen Statistik-Thesen zu gelangen.

Zweifellos lässt sich immer mal wieder im Stadtverkehr das eine oder andere haarsträubende Radmanöver beobachten. Und bei Schneefall, Nebel und Glätte ist der auch in Hamburg stetig zunehmende Anteil des Radverkehrs ein zusätzlicher Punkt, der Konzentration beim Autofahren erfordert. Aber sind sogenannte Rüpel-Radler wirklich das große Problem im Verkehr?

Das lässt sich stark bezweifeln. Zunächst einmal gibt es da einen generellen Unterschied: Ein Autofahrer bewegt rund eine Tonne Blech und Stahl mit meist mehr als Tempo 50 durch die Stadt, sein Fehlverhalten dürfte ganz andere Folgen haben als ein Radler, der mit Tempo 20 und einem Elf-Kilo-Rad falsch fährt. Die - verständliche - Angst der Autofahrer dürfte auch eher darin begründet sein, dass sie angesichts scheinbar unkontrolliert herumsausender Radfahrer in einen Unfall verwickelt werden könnten - nicht, dass sie selbst zu Schaden kommen.

Für Radfahrer sieht die Sache schnell anders aus. Daher könnte man dem Verkehrsgerichtstagspräsidenten mit einer anderen Wahrnehmung kontern: Gerade jetzt im Winter achten die meisten Radfahrer auf die beste Beleuchtung, fahren vorsichtig, ziehen sogar Spikereifen auf.

Und auch die Unfallstatistik gibt in Hamburg nicht her, dass es ein drängendes Problem mit sogenannten Rüpel-Radlern gibt. Bei den rund 63.000 Unfällen im Stadtgebiet waren es etwa 3000, bei denen erwachsene Radfahrer beteiligt waren. Und in rund 65 Prozent der Fälle waren sie Opfer, nicht Verursacher.

Doch auch als überzeugter Radfahrer, wie der Autor, darf man nicht leugnen, dass es diese gefühlte Bedrohung gibt. Das hat vermutlich viele, manchmal ganz banale Gründe. Oft beobachtet man beispielsweise aufgebrachte Autofahrer, wenn man als Radfahrer vermeintlich falsch in der Einbahnstraße unterwegs ist. Tatsächlich aber sind gerade in Hamburg in den vergangenen Jahren etliche Einbahnstraße zum Radfahren in beide Richtungen freigegeben worden. Die kleinen Schilder dazu kann man leicht übersehen (vor allem wenn man mit Tempo 50 in Tempo-30-Zonen unterwegs ist).

Aber ja, es stimmt, als Radfahrer ist man gelegentlich in Versuchung, rote Ampeln oder richtige Fahrtrichtungen, sagen wir mal, zu übersehen. Aber das liegt an einer mangelhaften Verkehrspolitik in Hamburg und vielen anderen Städten, die längst noch nicht erkannt haben, dass die Zukunft eines friedlichen, stillen und entspannten Stadtverkehrs mehr in der Unterstützung von Fußgängern und Radfahrern liegt, als weiter auf eine Nur-Auto-Stadt zu setzen.

Die Realität ist ernüchternd. Radler und Fußgänger müssen sich ihren Weg auf schmalen Pfaden neben zwei- und dreispurigen Straßen teilen, Radwege enden zu oft im Nichts, Radfahrer müssen vielerorts drei Rotphasen abwarten, um eine Kreuzung überqueren zu können. Es fehlen Schilder, das Pflaster ist kaputt, die Radwege sind zugeparkt.

Das alles frustriert, macht wütend, wenn man einfach nur gleichberechtigter Teil des Stadtverkehrs sein will. Und das führt wohl auch gelegentlich dazu, dass jemand bei drei Rotphasen die dritte eben nicht mehr abwartet. Das ist keine Entschuldigung für falsches oder gar rüpelhaftes Verhalten. Aber wohlgemerkt, solche Verstöße sind auch kein massenhaftes Verhalten - so wie es der Verkehrsgerichtstag derzeit suggeriert.